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Im ersten Quartal 2015 beschäftigt die Onkelz-Fan-Gemeinde ganz besonders und eindringlich die Frage, welche Bands die Crowd am Hockenheimring auf Betriebstemperatur bringen sollen. Verdammt große Namen schwirren durch das Netz. Von Metallica ist die Rede, von Iron Maiden, Motörhead und und und…

In Frankfurt ist man gelassen. Man weiß, dass sich die Dinge entscheiden werden und kurzerhand beschließt man, alte Freunde einzuladen. Freunde, die schon zehn Jahre zuvor auf dem – wie wir alle mittlerweile wissen – vorläufigen Abschiedskonzert der Onkelz begeistern konnten. Eine Band, bestehend aus sieben „verspleenten Persönlichkeiten“ (O-Ton Michael „Das letzte Einhorn“ Rhein), die nebenbei bemerkt zu den erfolgreichsten, deutschsprachigen Rock-Acts des Landes zählen. Ein Telefonanruf von Stephan bei Michael Rhein macht das Ding dingfest und im frühen Jahr 2015 können „IN EXTREMO“ als Special Guest angekündigt werden. Eine große Freude bei allen und ein mehr als würdiger Support für die Onkelz.

Ebenfalls im Frühjahr wird Michael Rhein in seinem Haus in Köln für den B.O. Blog interviewt. Herausgekommen ist ein ehrliches, erfrischendes Gespräch, das wir euch auch an dieser Stelle in Auszügen (komplett könnt ihr das Interview hier lesen) präsentieren möchten.

IN EXTREMO – Michael Rhein „Das letzte Einhorn“ im Interview

20 Jahre singst du bei „In Extremo“. Was geht in dir vor, wenn Du dir veranschaulichst, dass diese Band 20 Jahre alt wird?

Ja, das ist schon heftig. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, wie mal alles angefangen hat. Ganz früher, so bis 1990, hab ich ja noch in so richtigen Punk Bands gespielt im Osten. Da sind wir halt groß geworden. Gespielt haben wir Anarcho Schweine Rock. Immer gegen den Strom. Aber irgendwann ging da halt nix mehr, und nach der Wende wollten sich alle Westbands angucken gehen. Man muss dazu sagen: Die eine Hälfte der Band kommt aus dem Rock-, die andere Hälfte kommt aus dem Mittelalter Bereich. Ich stand halt irgendwo dazwischen und dann hab ich mich tatsächlich irgendwann selbst auf einem Mittelalter-Markt wiedergefunden. Erst dachte ich noch: Hey Alter, was ist das denn – das hört sich ja alles gleich an (lacht), aber die ersten Berührungsängste – so nenne ich das jetzt mal – waren schnell verpufft, es begeisterte mich, tja und zwei bis drei Wochen später hatte ich eine erste Mittelalter-Band. Da hat z.B. noch der Mike Paulenz (TANZWUT) mitgemacht. Wir hießen Pullarius Furzillo. Der ist dann aber später wieder in einer andere Band eingestiegen und ich habe 1995 IN EXTREMO gegründet. Ostersamstag vor 20 Jahren haben wir dann als IN EX unser erstes Konzert auf der Leuchtenburg bei Jena gespielt. Das war ein Mittelalter-Markt und da haben wir richtig puristisch angefangen zu spielen. So nur mit Dudelsack, nix mit E-Gitarren (lacht). Irgendwann hab ich mir aber gedacht: Komm, da muss jetzt aber mal eine Gitarre drunter. Da hab ich dann meine alten Kollegen angerufen und so ging das Schritt für Schritt. Um aber auf deine Eingangsfrage zurück zu kommen: Diese 20 Jahre sind einem gar nicht so bewusst. Das rückt zwar jetzt nahe, weil wir ja unser Festival spielen, aber ansonsten ist das etwas abstrakt. Wir fangen jetzt auch im Mai an zu proben und werden da auch viele Songs ausgraben, die wir schon ewig nicht mehr live gespielt haben, das wird eine schöne Geschichtsstunde. Beim Hören der alten Stücke wird einem die Länge der Karriere erst bewusst. Immer dann, wenn man plötzlich Stücke hört, die man selbst total vergessen hat.

In vielen Berichten und Interviews über euch wird überliefert, ihr hättet mit dem Genre des „Mittelalter-Rock“ begonnen. Siehst du das ähnlich?

Das kann man tatsächlich so sagen, ja. Heute gibt es natürlich ganz viele Bands, die man diesem Genre zuordnen kann. Praktisch alles, was einen Dudelsack halten kann, macht Mittelalter-Rock. Aber wir waren so ziemlich die Ersten, die das von den gemütlichen und atmosphärischen Märkten auf die größeren Bühnen getragen haben und das salonfähig machten. Dazu dann natürlich die harten Gitarren als Alleinstellungsmerkmal.

Ich persönlich steh total auf Mittelalter-Romantik und diese ganze Folklore, die damit einher geht. Das fängt bei Filmen an, über Bücher bis hin zur Musik. Was verbindest du, bzw. was verbindet ihr mit dem doch recht allgemeingehaltenem Begriff „Mittelalter“?

Haste keine Mittel, Alter – machste Mittelalter (lautes Gelächter).

Nee, im Ernst. Also im Grunde genommen war das Genre damals ein Auffangbecken für Andersdenkende in der DDR. Da ging es so 1989 los. Diese Gefühle, die die Musik transportiert durch die Instrumente, Freiheit und Brüderlichkeit, das war es. Man hat sich getroffen, mit Dudelsack und Bier und hat gemeinsam gesessen und gespielt. Ich meine gut, im Mittelalter will ich nicht leben, da wären wir alle tot, aber diese Lagerfeuerromantik, das hat was. Wobei IN EXTREMO jetzt keine reine Mittelalter-Band mehr ist. Wir haben das mittlerweile ja gut mir hartem Rock durchmischt. Aber klar, wir werden immer wieder diese Mittelalter Folklore einbauen, das sind unsere Roots und wir lieben Dudelsäcke. Das gepaart mit einer richtigen Schüppe Rock, oder den Texten – das ist einfach geil.

Was bedeutet das Wort „Glaube“ für dich?

Grundsätzlich bin ich schon Realist. Ich mag diese ganzen klischeehaften Symbole nicht, mit denen auch gerne in der Heavy Szene gespielt wird. Also dieser 666 Quatsch. Wir sind bunte Vögel und das ist es. Wenn ich über den Glauben bei mir selbst spreche… Schwierig. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, das wollte ich – dieser ganze aufgeblasene Ballon dieser politischen Institution, das war nix für mich. Vielleicht gibt es irgendwas Höheres, wer weiß. Ich mein, an Tagen wie diesen, da wünscht man sich natürlich, dass es eine höhere Macht gibt, die auf einen aufpasst – auch nach dem Tod. Aber das ist schwer. Ich hab da so meine eigene spirituelle Basis, so nenn ich das mal –  also Dinge, an die ich glaube. Aber das ist mein Weg. Jeder soll im Endeffekt glauben, woran er will. Sobald es extremistisch wird, da ist für mich der Ofen aus.

Seit 2001 landet jedes eurer Alben in den Top Ten, zwei davon waren auf Platz eins der deutschen Albumcharts. Eure Konzerte wurden von Jahr zu Jahr größer. Wie wichtig ist einem Musiker, nach Abzug aller Annehmlichkeiten, eine Chartposition im Jahre 2015?

Es wäre gelogen zu sagen, man würde nicht auf die Charts achten. Klar, logo. Wenn man einmal die eins hatte, will man das nächste Mal nicht auf 16 oder 20 einsteigen. Dazu kommt es natürlich auch immer drauf an, wann du mit einem Album rauskommst. Wir hatten oft das Pech, mit Madonna oder irgendwelchen anderen Superstars zu veröffentlichen. Ok, letzte Mal war es eine 2, aber das ist auch schön. Die Gesellschaft ist zwar heute eher so, dass einer, der als zweites ins Ziel kommt, gar nicht mehr wahrgenommen wird, aber so ist es halt. Wir sind definitiv keine Band, die eine eins, oder zwei, oder wie auch immer forciert. Also wir machen unsere Veröffentlichung nicht in zwanzig verschiedenen Varianten, oder hauen eine Platte im Hochsommer raus, nur um ganz oben zu landen. Eine eins hilft einem weiter, man wird anders wahrgenommen – auch von den ganzen Medien, aber gut. Was soll`s. Wir haben mit IN EXTREMO 1,5 Millionen Platten verkauft. Wenn man die großen Bands wie die Onkelz, Hosen, Rammstein und Ärzte rausnimmt, welche deutschsprachige Band verkauft dann noch so viele Platten?

Keine. Das ist richtig. Schlagen wir die Brücke zu den Onkelz: 2005 gab es das erste Gastspiel für die Onkelz auf dem Abschiedskonzert der Böhsen Onkelz. Das konnte man damals ja durchaus noch als ein Wagnis für eure Karriere sehen, umso schöner, dass ihr damals schon den Mut hattet, dort aufzutreten. Was sind eure Erinnerungen an das Festival und habt ihr die Band da schon persönlich kennengelernt?

Alles Nazis! (Lautes Gelächter) Im Ernst: Als wir damals angefragt wurden, hatte ich keine Ahnung von den Onkelz. Ich hatte nur so ein komisches Bild von ein paar versprengten Faschos, die sich auf die Konzerte verirren und diesen Songs aus ihren Anfangstagen, aber sonst hatte ich keinen Schimmer. Aber ich habe natürlich auch die Chance gesehen, die in einem Festival mit 100.000 Besuchern liegt. Also haben wir uns in den darauffolgenden Tagen extrem intensiv mit der Band beschäftigt. Ich habe auch Redakteure von  namenhaften Musikmagazinen angerufen, und die nach deren Meinung über die Onkelz ausgefragt. Das ist ein Politikum, noch heute. Wir wussten, wenn wir das machen, dann gibt`s auf den Sack. Aber egal, nach der ganzen Beschäftigung um die Band war uns klar, dass wir das machen wollen. Das war dann für alle klar, und als ich die Masse an Menschen dort gesehen habe, da war doch logisch, dass das nicht alles Faschos sein können. Wir sind dort extrem gut empfangen worden, das war alles sehr freundschaftlich. Klar gab es ein paar komische Dinge von Leuten, die uns dann als Unterstützer von Faschisten angeprangert haben, aber da lach ich drüber. Ich komme aus der linken Zecken Szene, weißte? Lächerlich.

Als deutsche Band brauchte man auf jeden Fall Eier, um das zu machen. Ich erinnere mich an so viele Absagen von ausländischen Bands, das war schon extrem.

Ja, das stimmt. Aber was soll ich sagen? Wir hatten Bock darauf und es war die richtige Entscheidung. Auch der Umgang mit den Onkelz ist ja albern, war er damals schon. Klar, die haben vor 35 Jahren (!) Kacke gebaut, und da waren auch unschöne Dinger dabei, aber weißte was: In Deutschland haust du jemanden um, und kommst in den Knast, danach hast du das Recht auf eine zweite Chance. Und den Onkelz glaubt man nicht, dass sich deren Geist innerhalb von 35 Jahren verändert haben soll. Mehr muss man dazu ja fast nicht sagen.

Euer letztes Album „Kunstraub“ ist mittlerweile auch schon wieder eineinhalb Jahre alt. Wann dürfen denn die IN EXTREMO Fans mit Nachschub rechnen?

Also was ich jetzt schon mal ankündigen darf ist: Zu unserem 20jährigem werden wir einen Song raushauen, den wir im Mai einspielen werden, und der wird auch „Loreley“ heißen. Schön mit Pathos, sozusagen unser „Pack schlägt sich – Pack verträgt sich“ (lautes Gelächter). Also dann natürlich 2016 – eine neue Platte. Da laufen natürlich auch schon eine Menge Vorbereitungen. Wir wollten uns dieses Jahr eigentlich etwas rarer machen, aber gut – so eine Chance wie BÖHSE FÜRS LEBEN darf man sich ja auch nicht entgehen lassen. Genau wie einige andere Festivals, die noch rein geflattert kamen. Greenfield, Nova-Rock, unser Festival. Und dann im nächsten Jahr gibt`s den großen IN EXTREMO Paukenschlag mit dem neuen Album.