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Trotz aller schlimmen Erfahrungen, die Kevin im Laufe seines Lebens mit Drogen und Alkohol macht, reichen diese Dinge nicht aus, um seinen Geist aus den Klauen der Sucht zu befreien. Im Gegenteil. Von Zeit zu Zeit und immer häufiger wirkt der ehemalige Sänger der Onkelz so, als hätte er sich seinem Schicksal ergeben. Als gäbe es keine Hoffnung mehr. 2009 ist Russell nur noch ein Schatten. Eine Hülle, deren Geist fremdbestimmt ist durch eine Macht, die 1990 begonnen hatte, ihren Einfluss auf Kevins Seele auszuweiten. Heroin, Kokain, Amphetamine, Methadon, Valium, Gras und Dope, literweise Alkohol. Dass Russell überhaupt noch lebte, das wollte eigentlich keiner so recht verstehen. Seine Bronchien waren schon zu jener Zeit derart in Mitleidenschaft gezogen, seine Lunge chronisch entzündet, von den unzähligen Kippen und dem vielen H. Zu Hause vegetierend, beginnt jeder Tag für Kevin üblicherweise mit einem ordentlichen Schluck aus der Codein-Flasche. Eigentlich in Milligramm verschreibungspflichtig, trinkt Kevin das Opiat als wäre es ein Glas Wasser. Er erwartet in dieser Zeit jeden Tag, dass er sterben
wird. Mit Stephan hat er sich schon lange überworfen. Kevins Umfeld nimmt Einfluss auf Russell. Schädlichen Einfluss. Es flüstert ihm Dinge ins Ohr, paranoides Zeug. Und er nimmt es in seinem Wahn an, glaubt, was seine „Freunde“ ihm erzählen und Stephan? Der ist da, immer wieder – doch auch dem wird es zuviel. Die Qualität der Verletzungen ersetzt irgendwann die Quantität der Dinge, die Kevin gesagt, und auch nicht gesagt; die er getan, und auch nicht getan hat. Stephan bricht den Kontakt zu seinem „Bruder“ ab. Aus Selbstschutz. Es scheint, als sei diese Freundschaft zu Ende.

Im Juni 2009 hat er einen Gastauftritt bei einer Coverband in Geiselwind. Russell wirkt verstörter, als jemals zuvor. Er vergisst den Text, singt falsche Zeilen und verhält sich wie ein Tiger im Käfig. Immer wieder verschwindet er hinter der Bühne, um sich die nächste Riesenline „Andenschnee“, anstelle seines dringend benötigten Inhalationssprays, reinzupfeifen. Er leidet u. a. an COPD, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Dann kommt er wieder nach vorne und brüllt unverständliches
Zeug. Die Fans sind aus dem Häuschen. In den Kommentaren bei Facebook & Co. wird Kevins Wiederauferstehung gefeiert. Dabei ist er am Ende. Wenn er heute die Videos bei Youtube sieht, kann er sich selbst kaum ertragen. Er meidet diese bewegten Zeitzeugen seiner Selbstzerstörung.

Doch alles kam noch viel schlimmer als man es befürchtet hätte.

Silvester 2009. Russell verursacht unter Drogeneinfluss, natürlich, denn „drauf zu sein“ ist für Kevin 2009 der völlige Normalzustand, einen schweren Verkehrsunfall. Kevin steigt aus dem Wrack und begeht Fahrerflucht. Zu Fuß. Mutige Ersthelfer ziehen die beiden Unfallopfer aus dem lichterloh in Flammen stehenden Opel. Kevins Audi ist völlig zerstört. Auf das wirre Verhalten Kevins in den folgenden Tagen und das über Frankfurt hereinbrechende Pressegewitter, wird nicht weiter eingegangen. Das verbietet sich, wenn man die Schwere der Verletzungen der beiden jungen Männer bedenkt, die dort zu Schaden kamen.

Stephan und Pe sehen sich gezwungen, den Fans reinen Wein einzuschenken. Auf der offiziellen Webseite der Onkelz schreiben sie folgendes:

Da wir, ähnlich wie ihr, gehofft haben, Kevin würde persönlich zu den Vorkommnissen Stellung beziehen, wir in der Zwischenzeit davon ausgehen müssen, dass das nicht mehr geschieht, sehen wir uns in der Pflicht, unsere Sicht der Dinge mit Euch zu teilen.

Was den Unfall betrifft: Es obliegt uns nicht, über Recht und Unrecht zu urteilen und schon gar nicht wollen wir hier dem vorgreifen, was heraus kommt, was in der Silvesternacht 2009 geschehen ist. Dafür gibt es Richter, Staatsanwälte und Ermittler und letztendlich liegt es auch an Kevin, Aufklärung zu leisten.

Ohne alte Klischeevorstellungen bedienen zu wollen: die Wahrnehmung der Onkelz in der Öffentlichkeit war uns immer egal und veranlasst uns auch jetzt nicht die Artikel von „Bild und Co.“ zu kommentieren, zumal wir die Berichterstattung in der Breite als gar nicht mal unfair empfunden haben. Dass wir, ausgelöst durch Kevins Verhalten, zur Zielscheibe der Presse wurden, müssen wir uns wohl gefallen lassen. Wer wie wir die Morallatte dermaßen hoch gelegt hat, darf sich jetzt nicht wundern, wenn nun Spott und Häme allgegenwärtig sind.

Dass aber auch ihr durch alles, was gerade vor unser aller Augen passiert, unsere Glaubwürdigkeit und unser Lebenswerk in Frage stellt, drüber gilt es zu reden: Die Tragik und Tragweite dessen, was rund um Kevin gerade passiert, lässt keinen anderen Schluss zu, als euch, unseren Fans, reinen Wein einzuschenken und die Dinge anzusprechen, vor die wir uns eigentlich schützend stellen wollten.

Kevins Krankheit und Drogenproblematik war schon immer allgegenwärtig und wurde nicht, wie oft fälschlicherweise dargestellt, durch das Ende der Onkelz ausgelöst, sondern war maßgeblich dafür verantwortlich, dass es zur Trennung kam. Wir haben uns damals konsequent für das Ansehen der Band entschieden und gegen eine damals schon absehbare mögliche Demontage. 25 Jahre ehrliche und glaubwürdige Arbeit an und mit den Onkelz sollten nicht in einem Desaster enden. Wir wollten erhobenen Hauptes das Schlachtfeld verlassen. Dass uns das nicht 100% gelingen sollte, lag an vielem, steht aber auf einem anderen Blatt. Eines könnt ihr uns glauben: Wir wollten Kevin schützen – vor sich selbst und davor, die Öffentlichkeit an seinem Zerfall teilhaben zu lassen. Und wir wollten unsere Arbeit, all das Herzblut und all die Widerstände nicht dadurch in Frage stellen, weil wir nicht die Größe besitzen, zum richtigen Zeitpunkt den Vorhang fallen zu lassen.

Soweit die Intention… Habt ihr euch schon einmal gefragt, ob die Menschen, die ihr so verehrt, allen voran Kevin, nicht einfach nur eine Projektion eurer Vorstellungen und Idealisierungen sind? Ehrlich, ihr habt es mit Menschen zu tun, die die gleichen Stärken und Schwächen und Ängste haben, wie ihr. Die es lediglich geschafft haben, ihre Probleme, Dämonen, ihre Zerissenheit und ihre Auseinandersetzungen besingen zu dürfen und deren Lieder von vielen Menschen wahrgenommen wurden. Stephans Texte waren auch immer Therapie und Durchhalteparolen, für Kevin und uns selbst. Leider wenden sich die Dinge nicht immer zum Besten und sind nicht immer ganz Ideal…

Wem erzählen wir das? Bereits vor dem Ende des Onkelz nahm die Anzahl der Gelegenheiten zu, in denen Kevins Dämonen die Oberhand behielten. Mal folgenlos, mal mit dramatischen Auswirkungen. Und auch, wenn er durch die Hilfe seiner Freunde immer wieder der eigenen Hölle entkommen konnte, mussten wir über die Jahre einsehen, dass sich die Sucht in eine Krankheit verwandelt hat, die er nicht dauerhaft besiegen konnte. Dass man beste Freunde war ist leider keine Garantie, dass es immer so bleibt. Freundschaften und Beziehungen sind keine Einbahnstraßen und wenn die gegenseitigen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt werden, die Ansichten und Werte nicht mehr übereinstimmen, hilft auch das Ganze gemeinsam Erlebte nicht weiter. Was aber im Umkehrschluss nicht heißt, dass die ganze Vergangenheit erstunken und erlogen war. In unserer Biographie ist Kevins Suchtkarriere detailliert und angemessen drastisch geschildert.

Jemandes Karriere, den Alkohol und Drogen mehrfach fast umgebracht haben und bei dem der ständige Missbrauch sichtbar Spuren hinterlassen hat. Der Kevin, der dieser Tage auf der Anklagebank sitzt, ist nicht mehr der Kevin, mit dem wir gemeinsam all die Jahre durch dick und dünn gegangen sind. Kevin hat sich in den letzten Jahren ein neues Umfeld zugelegt und auf Einflüsterungen gehört, die nicht gut für ihn waren. Dabei sind Dinge passiert und auch nicht passiert, die irreparable Schäden hinterlassen haben. Unsere Gedanken sind nach wie vor bei den Opfern. Wir wünschen den beiden von ganzem Herzen, alles erdenklich Gute.

Pe und Stephan

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Gonzo lässt den Prozess durch eine Anwältin beobachten und ist zwar mit dem Statement seiner ehemaligen Bandkollegen nicht einverstanden, kann es aber auch nicht verhindern, dass Stephan und Pe der Meinung sind, dass die Zeit der Lügen ein Ende haben muss. Den Onkelz Fans, die den Prozess durch die öffentliche Berichterstattung verfolgen mussten, bietet Kevin ein Bild des Grauens. Noch blasser, eingefallener und gelber im Gesicht, als zu Beginn des Jahres, wirr und definitiv nicht mehr Herr seiner Sinne, auf bestem Wege in das Fegefeuer seiner Seele. Dorthin, wo seine inneren Dämonen warteten. Dorthin, wo der Wahnsinn saß und seinen Griff fest um Russells Hals legte. Irre Grimassen schneidend, kopfschüttelnde Reporter und Angehörige der Opfer.

Fakt ist: Am 04. Oktober 2010 wird Kevin Richard Russell vom Landgericht Frankfurt wegen fahrlässiger Körperverletzung und Unfallflucht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Als er im August 2011, nach abgelehnter Haftverschonung, diese Strafe antritt, wird er allerdings aufgrund seines katastrophalen Gesundheitszustandes sofort in das Gefängniskrankenhaus verlegt. Er liegt dort tagelang in seinen eigenen Exkrementen und seinem Erbrochenem. Die Jahrzehnte der Drogenabhängigkeit ließen sich nicht mit ein paar Tagen und etwas gutem Zureden aus Kevins Körper spülen. Es schien, als wolle sich sein eigener Körper an ihm rächen. Mehrere Monate vergehen so, die er nur deshalb übersteht, weil sein Wille stärker ist, als seine Sucht. Plötzlich schien für ihn das erreichbar zu sein, was – aus verständlichen Gründen – nur er selbst sich noch zutraute: Nämlich clean zu sein.

Im Dezember 2011 überweist man Russell in eine Therapieeinrichtung. Da hatte er schon das Schlimmste und die Härte des Gefängnisses hinter sich. Der Entzug war da schon im vollen Gange. Die Einrichtung informiert die Justiz regelmäßig über Russells Fortschritte. Und die sind gewaltig.

Bizarrerweise rettet diese schlimme Katastrophe, die das Leben zweier Menschen zerstört hat, Kevin das Leben. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit ist er über einen längeren Zeitraum alkohol- und drogenfrei. Noch während der Therapiezeit besuchen ihn Stephan und Pe. Stephan, der 2009 einen Bruch mit seinem Freund eingehen musste, kann 2012 endlich wieder den Kevin in die Arme schließen, den er so lange vermisst hat.

 

statementKevin_Brief Kevin Brief an Fans

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