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Im August headlinen die Onkelz das 15te Wacken Open Air Jubiläumsfestival.
Natürlich nicht ohne große Aufregung in der Presse und bei den Wackenfans. Das verschlafene Örtchen Wacken in Schleswig Holstein ist alljährlich Pilgerstätte tausender Metalfans, die in Schwärmen und Scharen über den kleinen Ort herfallen und auf einer Kuhwiese über drei Tage lang ihre Metal-Götter abfeiern. 150 Meter lange Schlangen vor den Supermärkten und Bankautomaten, Wolldecken und Schlafsäcke in den Vorgärten, Schnapsleichen auf den Wiesen – Ausnahmezustand. 1990 beim ersten Wacken Open Air waren es noch 800 Zuschauer, während zum Festival im Jahre 2003 schon 30.000 Leute kamen. Diese Entwicklung war jedoch nicht immer so erfolgreich. In den Jahren ´93 bis ´95 gab es auch Durststrecken und der erste Onkelzauftritt in Wacken 1996 war mit dafür verantwortlich, dass das Festival erst richtig auf die Beine kam. Eigentlich waren die Onkelz 1996 schon zu groß für Wacken, aber nachdem sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Veranstaltern Sheree Hesse, Thomas Jensen, Holger Hübner und dem Onkelz Tourmanager Thomas Hess entwickelt hatte, dachte man ernsthaft über einen Auftritt der Böhsen Onkelz nach. Der Erfolg gab ihnen Recht. Das Festival verlief friedlich und ohne Probleme.
Thomas Jensen sagt heute: „Das ganze Gerede war für uns Bullshit, denn ich würde nie für eine rechtsradikale Band arbeiten, da meine Frau ja auch eine dunkle Hautfarbe hat… Mittlerweile sind Onkelzkonzerte die friedlichsten Veranstaltungen, die ich überhaupt je gesehen habe.“
So ist es auch keine Überraschung, als die Onkelz für das Jubiläumsfestival 2004 als Headliner eingeladen werden und prompt zusagen. Die Presse spielt wie immer verrückt und manche Artikel lesen sich wie die Ankündigung des jüngsten Tages, wie die Vorwarnung vor der finalen Metal Katastrophe. Dass das Motto im Jahre 2004 „Metalheads aginst racism“ heißt, fällt den wenigsten Journalisten auf und scheint auch nicht erwähnenswert.
„Mit der friedlichen Stimmung wird es vorbei sein…“ weiß man zum Beispiel in der Redaktion der Lübecker Nachrichten noch vor dem Konzert. „Invasion der Kurzhaarigen“ schreibt ein anderes Blatt, oder „… das Konzert (gemeint ist der Onkelzgig) wirkt wie ein Fremdkörper bei diesem Festival…“
Ein paar junge Wackenfans, noch zusätzlich angeheizt durch die debile Berichterstattung, gehen auf die Barrikaden und fürchten um die gute Stimmung. Veranstalter Holger Hübner sagt vor dem Konzert im Stalker-Magazin: „Also, wie ich das jetzt sehe, gibt es da keine Probleme. Ich sehe einfach ein paar Metalheinis (Wackenfans), die in Wacken vielleicht versuchen, ein bisschen Stress zu machen. Bei den Onkelzfans sehe ich keine Probleme. Bekannt ist, dass 1996 die Onkelz zum Durchbruch von Wacken beigetragen haben. Wir haben jetzt Jubiläum, wir haben sie eingeladen, sie haben zugesagt, Ende, aus. Wer keinen Bock auf die Onkelz hat, der kommt Donnerstags eben erst abends.“
35.000 Leute stehen schließlich am Donnerstag Nachmittag vor der Metal Stage und lassen Zodiac Mindwarp und Motörhead über sich ergehen, um die Onkelz sehen zu können. Blauer Himmel, Sonnenuntergang und absolute Hochstimmung. Das Publikum könnte gemischter nicht sein und es wird getanzt, gefeiert und gesungen. Die negative Berichterstattung hätte man sich demnach wie immer in den letzten 15 Jahren sparen können, aber scheinbar herrscht großer Bedarf an Skandalen innerhalb der Redaktionen und ein Auftritt der Böhsen Onkelz ist dafür stets gut geeignet. Anders ist der geistige Totalausfall von Oliver Rohlf in der Berliner Zeitung nicht zu erklären. „Einmal gerösteter Schweinskopf bitte“ betitelt Rohlf seinen Wackenbericht und leitet ein: „… vergangenes Wochenende hätte es in Wacken richtig ungemütlich werden können…“ Mit nichts als diesem Konjunktiv spärlich bewaffnet, zieht er über die Band her und macht es für alle Leser peinlich offensichtlich, nicht nur wie sehr er die Band verabscheut, sondern auch, wie sehr ihm seine Objektivität während des Festivals abhanden kam. „… Mag das schmierige Abschiedsalbum der selbsternannten Rock-Rebellen `Adios´ , derzeit unangefochten auf Platz 1 der deutschen Albumcharts thronen, der Ausblick auf das Ende dieses unangenehmsten aller Kapitel in der neueren deutschen Musikgeschichte sorgte in Wacken für gute Laune…“ Auch wird es immer ein Rätsel bleiben, was der Journalist Magnus Klaue in der Frankfurter Allgemeinen vom 13.04. wohl gemeint hat, als er schreibt: „Mittlerweile sind die Böhsen Onkelz wieder selbstverständlicher Bestandteil der Independent Szene. Gerade die geringe öffentliche Resonanz ihrer Auftritte und Alben sollte zu denken geben und legt die Vermutung nahe, dass es niemanden schert, welches Gedankengut hier bedient wird.“
Von geringer öffentlicher Resonanz zu sprechen, während 250.000 Tickets für die Tour verkauft werden, die Single „Onkelz vs. Jesus“ auf Platz 2 und das Album „Adios“ drei Wochen auf Platz 1 steht, geht wie so vieles während der Berichterstattung über die Onkelz 2004 meilenweit an seriöser Recherche vorbei. Same shit, different paper.
In den Videos seht ihr Gonzo im Interview und „Erinnerung“ live vom Wacken Open Air 2004.