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… ob man sich vorstellen könne, dass die Böhsen Onkelz die Rolling Stones während ihres letzten Gigs auf ihrer Deutschland Tournee in Hannover am 08. August supporten würden.
Auch wenn diese Anfrage ziemlich überraschend kam, brauchten die Onkelz nicht lange über ihre Antwort nachzudenken. Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, würde man sicherlich die Stones supporten. Stephan sagte einmal mitte der neunziger, dass „Metallica“ die einzige Band der Welt sei, die er mit den Onkelz noch supporten würde. Damals hatte allerdings niemand daran gedacht, dass es jemals eine Anfrage der Rolling Stones geben könnte. In den darauf folgenden Interviews, sagte Stephan, dass er zwar nie ein großer Rolling Stones Fan gewesen sei, aber dass auch er schon zu „Angie“ in seiner Jugend Blues getanzt habe und dass er die Rolling Stones für die letzte große noch lebende Rock Band halte und man hier bei den Onkelz natürlich großen Respekt vor der Lebensleistung der Stones habe. Auch würde es sicherlich keinen Musiker geben, der sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen würde und infolgedessen würde man die Stones auf alle Fälle in Hannover supporten.
Allen Beteiligten im Onkelz Lager war jedoch sofort klar, dass es ein gefundenes Fressen für die Medien sein würde, sobald die Neuigkeit veröffentlicht werden würde. Auf Seiten der „Deutschen Entertainment AG“ und des Stones Managements wurde das „Onkelzproblem“ zunächst unterschätzt. So war es für die Onkelz auch nicht verwunderlich, als erst die englische, dann die amerikanische und kurz darauf auch die deutsche Presse loslegte. „German Nazi-Punkband to open for the Rolling Stones“ schrieb die New York Post am 2. Juni. Der Daily Mirror, CNN, die bbc und andere äußerten sich in ähnlicher Weise. So veröffentlichte zum Beispiel der „Jewish Telegraph“ in grotesker Übertreibung und totaler Fehleinschätzung der Fakten am 20. Juni einen Leserbrief: „… Evil Uncles have a following of an estimated 12 million in the nine-year-old upwards age group.“ Ein großer Aufschrei des Entsetzens und der Empörung ging von England aus über den Atlantik nach New York, danach zurück nach London und schließlich nach Deutschland und dort von den einschlägigen Presseagenturen bis in die Redaktionsräume auch der letzten, unwichtigsten und kleinsten deutschen Tageszeitungen. Kein Blatt, das sich nicht an der Skandalstory beteiligen wollte.
Man muß wissen, dass die Rolling Stones in einer Position sind, in der sie ganz sicher nicht ihre Vorbands selber buchen, oder sich um die Auswahl dieser Bands kümmern. So war in diesem Falle die Deutsche Entertainment AG, als deutscher Veranstalter und Promoter der Stones Tournee dafür verantwortlich, als er auf die Böhsen Onkelz zuging. Die Stones pflegen die Tradition auf einem ihrer letzten Gigs in einem Land, einen lokalen, größeren Act zu buchen. Auch Peter Maffay oder die Toten Hosen haben schon in der Vergangenheit die Stones supportet. Der laute Medienaufschrei, als man die Onkelz verpflichtete, rief also auch schnell das Rolling Stones Management auf den Plan, das sich in der Historie der Onkelz bis dahin noch nicht auskannte. Schnell versuchten nun die Medien, sowohl in England, als auch in Deutschland, Druck auf die Stones auszuüben, indem sie bereits die Entscheidung der Stones in ihren Schlagzeilen vorwegnahmen: „Jagger not amused“ oder „Stones machen Böhse Onkelz salonfähig“ oder „Konzert ohne Böhse Onkelz“ oder „Rolling Stones wollen Onkelz aus dem Programm kicken“ und all das, bevor sich das Rolling Stones Management überhaupt geäußert hatte. Dort ging man mit dem ganzen Thema extrem entspannt um und Telefonkonferenzen zwischen den Managements beider Bands, der gemeinsamen Plattenfirma Virgin Records und dem deutschen Promoterbüro der „Deutschen Entertainment AG“ bestätigten, dass man an den Onkelz, nach eingängier Überprüfung der Fakten, festhalten würde.
Auf einer Pressekonferenz anlässlich des Tourneestartes der Rolling Stones in München, sagte Mick Jagger schließlich vor rund 200 internationalen Journalisten, dass sie sich mit dem Thema befasst hätten und zu der Übereinkunft gekommen seien, dass die Böhsen Onkelz eine gute Band seien und man weiterhin zu ihnen als Support Act in Hannover stehen würde. Damit war das Thema für beide Bands zunächst einmal erledigt. Der NDR und auch T-Mobile, als Sponsoren der Veranstaltung in Hannover, kündigten ihre Verträge aus Angst vor einem Imageschaden und die Büros der „Deutschen Entertainment AG“ wurde mit Beschwerdemails von empörten Stonesfans bombadiert. Es fanden sich andere Sponsoren und die Stonesfans beruhigten sich ebenfalls schnell. Alles in allem wurde – wieder einmal – ein großer Wirbel um nichts, ein grenzenlos übertriebener Hype für eine Veranstaltung kreiert, die absolut friedlich verlief. Nichts von dem, was man im Vorfeld befürchtete trat ein. Es gab schlicht und einfach keine Gewalt und auch keine Probleme, Ausschreitungen etc. Eine große Party bei 36°C und unter blauem Himmel.
Allerdings wurde das eigentliche Konzert, auf das sich die Onkelz seit Monaten diebisch freuten, von einer dunklen Wolke überschattet, die noch Jahre später große Auswirkungen haben sollte. Kevin erlitt kurz vor Showbeginn einen heftigen Drogenrückfall, noch während der Gesangsübungen mit seiner Lehrerin und schlief – mir nichts, dir nichts – in seiner Kabine ein. Das war alles schon schlimm. Noch schlimmer war, dass man ihn fast auf die Bühne tragen und dafür sorgen musste, dass er die fünfundvierzig Minuten Onkelz-Show durchhielt, ohne von selbiger zu stürzen. Ein paar Tage nach der Show und Kevins Leistung setzte bei Stephan eine Gedankenmaschinerie ein, deren Ende gegen Ende des Jahres 2003 ausgesprochen werden konnte: Es geht nicht mehr weiter. Man muss dazu erwähnen, dass Kevin 2003 einen langen und intensiven Entzug hinter sich brachte, viel mit Stephan und Therapeuten redete, für längere Zeit endlich von den Drogen los war und eine sehr ansehnliche Leistung während der Proben, der Club-Tour und den Open Airs abgab. Die Erwartungshaltung an ihn war dementsprechend hoch. Umso schwerer wog die Enttäuschung, als Russell wieder einmal seinem Drang nachgab und zur Droge griff. Die vielen tausend Fans, die an jenem Tag nach Hannover reisten, merkten da noch nichts von den großen bandinternen Problemen.
Ebenfalls wichtig zu wissen: Im Sommer 2003 gibt Campino ein längeres Interview für die Hosen-Webseite, indem er auch Stellung zu den Onkelz bezieht. Als man das Interview wenig später in Frankfurt zu lesen bekommt, ist man überrascht. Positiv.
Campino: „Man sollte die Onkelz endlich wie jede andere Hardrock-Band behandeln. […] Ich bin […] der Meinung, dass man aufhören sollte, die Onkelz immer darauf festzunageln, was vor 20 Jahren war. Wenn du in Deutschland jemanden umbringst, kriegst du Lebenslänglich, kommst nach 20 Jahren aus dem Knast und die Sache ist ausgestanden. Aber die Typen werden angemacht für Texte, die sie mal vor 20 Jahren geschrieben haben, obwohl sie jetzt schon seit langer Zeit dagegen kämpfen. Ich denke, irgendwie sollte man das auch mal akzeptieren. […] Da kann ich mir überhaupt kein Urteil drüber erlauben [über das Publikum der Onkelz], weil ich noch nie bei einem Konzert von denen war. Da wird es sicherlich auch viele Leute geben, denen Politik scheißegal ist oder die gerade mal Anfang 20 sind. Wie soll man denen erklären, was damals war? Und ist das überhaupt noch wichtig? Ich bin bei diesem Thema mittlerweile entspannter.“
Dieses Interview gibt den Ausschlag für mehrere Treffen, die Stephan zuerst mit Campino, später mit dem Rest der Toten Hosen abhalten wird. Ab 2003 sind die Waffen zwischen beiden Bands endgültig zum ruhen gekommen und man respektiert gegenseitig die Leistung des jeweils anderen.
Böhse Onkelz – 08. August 2003 – Hannover,
Fotos: Edmund Hartsch