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Im B.O.S.C. Fanzine 2003, dem ersten Hochglanz Zine im Querformat, das ebenfalls zum ersten Mal in der Historie des Böhse Onkelz Supporters Club ab der Club-Tour allen Fans zugänglich gemacht wird, wird mit vielen interessanten Neuigkeiten rund um die Band nicht gegeizt. Gonzo schreibt einen längeren Text zum Stand der Dinge in Sachen Nahrungsmittelindustrie, Pe`s Anliegen umfasst Glaube, Kriege, Menschsein und die Onkelz, Edmund Hartsch schreibt über die US amerikanische Außenpolitik, Stephan gibt Musiktipps und in einem mehrseitigen Interview stellen sich die Onkelz allen wichtigen Fan-Fragen. Außerdem schreibt Weidner einen längeren Text über Hass:

Der Hass, jeder trägt ihn in sich, er verbreitet sich virusartig, die wenigsten gestehen es sich ein und keiner weiß genau, woher er eigentlich kommt und wie und wo er sich mit dem Hass infiziert hat. Und sobald unser Organismus schwächelt, bricht er aus. Das erinnert mich ein wenig an Herpes. Die Symptome sind ähnlich vielfältig, aber im Fall Hass mit weit schlimmeren Folgen als bei einer ungeliebten Schleimhauterkrankung. Was weiß der Duden über eine derart weit verbreitete Erkrankung?

„Hass“,
intensives Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit bis hin zur Aggression gegen Einzelpersonen oder soziale Gruppen (Völker, Minderheiten u. ?a.), oft als Gegensatz zur Liebe verstanden. Hass kann sich bis zum Vernichtungswillen (tödlicher Hass) steigern, wobei Motive und Eigenheiten des Gehassten beziehungsweise der gehassten Gruppe nicht mehr wahrgenommen werden (blinder Hass); insofern unterscheidet man den Hass vom »gerechten Zorn«.

Der griechische Philosoph und Arzt Empedokles sieht im Hass und in der Liebe sogar die beiden grundlegenden kosmischen Kräfte, durch deren Wirken alles entsteht und vergeht. Mir vergeht es jedenfalls manchmal, aber ich glaube er hat Recht. In seinen Lehren vertritt Empedokles weiterhin die Ansicht, Gleiches könne nur durch Gleiches erkannt werden. Wenn Hass also nur durch ihn selbst zu erkennen ist und dadurch vielleicht beherrschbar wird, warum beginnen wir nicht damit, den Hass zu hassen?

Der Anlass zu hassen ist meistens unangemessen und die Motive sind häufig recht banal. Angst, verletztes Selbstwertgefühl oder psychische Beeinflussung und so weiter… Also alles etwas, das bewusst gemacht, und durch Selbstaufklärung verarbeitet werden könnte. Warum also, verschwenden wir soviel Zeit und machen uns die Mühe, uns zu hassen? Eventuell weil wir täglich leicht zu schluckende Hass-Häppchen vorgesetzt bekommen?

Hass ist wie ein langer Schatten. Wo er eigentlich herkommt, weiß in den meisten Fällen nicht einmal derjenige, auf den er projiziert wird, also der Gehasste, vom Hassenden ganz zu schweigen. Und der Hass hat definitiv zwei Seiten. Der, der Hass empfindet und projiziert, hasst sich in der Regel auch selbst. Je brutaler man hasst, desto größer ist die Abneigung gegen sich selbst. Da draußen laufen Millionen von uns herum, die einfach nicht kapieren, dass ihr Problem nicht ihr Gegenüber oder irgendein soziales Unrecht ist, sondern Prägung, Indoktrination, Konditionierung und ihr eigenes verkümmertes Selbstwertgefühl. Sorry, das ist hart, aber auch eine wichtige Erkenntnis. Manche von uns glauben, ihre Chance auf ein erfülltes Leben, würde durch die vielen Ausländer eingeschränkt, die anderen machen ihren Arbeitgeber zum Buhmann, oder die Politik, das hohe Verkehrsaufkommen vor ihrer Hütte, die Punks, Skins, Rapper, Metaller, Gewerkschaften, den Kommunismus, den Kapitalismus, den Atheismus, die Moslems, oder den Irak. Eigentlich sind alle Schuld, nur nicht unsere eigene Willensschwäche und Unfähigkeit, das eigene Leben in den Griff zu kriegen. Ich weiß wovon ich rede, mir ging es genauso. Wir klagen grundsätzlich andere an, und suchen nie die Ursache in unserer eigenen Bitterkeit und Wut.

Außerdem und ganz wichtig, „Hass sells“, Hass als Ware verkauft sich gut. In einer Welt, in der wir gegenwärtig alles verlieren, gewinnen einige Wenige alles. Ich will euch nicht lange mit dem Thema Rüstung, Politik und Wirtschaft nerven, schon allein deshalb nicht, weil sie hier nicht unser Thema sein sollen und nicht unsere grundlegenden Probleme darstellen. Es sei an dieser Stelle lediglich erwähnt, dass nach wie vor annähernd 1000 Mrd. US $ für Güter und Dienstleistungen zu militärischem Zwecke ausgegeben werden. Nach Ende des kalten Krieges ist diese Zahl zwar rückläufig, in Ostasien und Afrika dagegen, gibt es einen neuen Rüstungstrend zu beobachten. Warum aber zum hassen in die Ferne schweifen, wenn sich direkt vor unserer Nase gutes Geld damit verdienen lässt? Wir müssen die Lücken in unserer Vorstellung füllen, und uns trauen Unglaubliches zu glauben. Die Industrie und ihre angeschlossenen Medienorgane sind so perfekt darin, uns das zu liefern was wir wollen, dass wir zu Nationen hirnloser Zombies mutieren. Zap durch Deine 200 Fernsehkanäle, spiel auf Deiner Playstation, verschick eine SMS, surf im Internet oder blättere Magazine durch auf der Suche nach dem nächsten gestellten Paparazzi Foto, nach In und Out Listen, nach den neuesten Trends, nach denen, die wir lieben und nach denen, die Einzug in unsere Hasslisten halten. Wir unterliegen den zuckersüßen Versuchungen der Unterhaltungsindustrie und der Presse. Wir übernehmen deren Meinung und plappern ihre als Information getarnte Propaganda nach.

Und wir brauchen Feindbilder. Jede jugendliche Subkultur definiert sich stark über ihre Feindbilder und Vorurteile. Wie gesagt, ich kann Euch mehrere Lieder davon singen. Egal in welcher Szene, es herrschen kollektive, negative Vorstellungen über Personen, soziale Gruppen, Weltanschauungen, Religionen, Völker und Nationen, die nicht kompatibel sind mit den Anschauungen der Szene. Und ihre jeweiligen Organe transportieren genau diese Botschaften und legen damit ihre Feuer. Es gab zwar immer wieder gegenkulturelle Revolutionen, aber die Industrie hat es immer wieder verstanden, diese zu vereinnahmen, zu kommerzialisieren und auszubeuten. Jede Revolution, jedes Aufbegehren machte sich irgendwann still und leise davon. Die Träume, dem Massenmarkt zu entfliehen sind fast ausgeträumt (……aber nur fast – ein kleines hessisches Dorf leistet erbittert Widerstand *g*). Das Big Business hat wieder einmal gewonnen. Wir werden faul und passiv und verlieren den Drang, nach etwas zu suchen, das wirklich wichtig ist. Und wenn wir unsere Neugier verlieren, danach zu suchen wie die Welt wirklich funktioniert, werden wir geistlose, denkfaule, konsumierende Marionetten und die schleichende Indoktrination treibt unermüdlich ihre fruchtbaren Wurzeln. Die Wurzeln des Hasses. Dieser Hass kann sogar tödlich sein. Aber es ist nicht leicht, sich davon zu befreien. Vielleicht ist nichts auf der Welt schwerer auszumerzen, als der Hass, wenn er sich erst einmal im Herzen eingenistet hat.
Und wir können sie spüren, diese fiesen Wurzeln, nicht wahr? Ja, ich habe sie gespürt. Und ich spüre sie immer noch…

P.S. Ich glaube es gibt einen Weg dem entgegen zu wirken. Keinen, der die Welt verändern wird, aber vielleicht uns und unser Umfeld. Das wäre doch ein Anfang…………

Habe die Ehre

Stephan