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Am 25. September erscheint das elfte Studioalbum der Onkelz und nach dem Weggang von Bellaphon das erste Album unter der Flagge des Major Labels Virgin.
Das Album entert aus dem Stand Platz fünf der Longplay Charts, wird später mit Gold in Deutschland und Österreich ausgezeichnet.
Aufgenommen in Helmuth Rüßmanns Studio mitten auf dem Land, bietet „Hier sind die Onkelz“ wieder deutlich mehr Rock`n`Roll als noch die sehr verkopften und experimentierfreudigen „Schwarz“ und „Weiß“. Der Sound ist erdig und roh, Kevins Stimme brutal und die Kompositionen und Texte reichen von gefühlvoll, („Nichts ist für immer da“ „Viel zu jung“), pathetisch („Hier sind die Onkelz“, „Lasst es uns tun“), angriffslustig und bissig („Danke für Nichts“, „Wer nichts wagt, kann nichts verlieren“) bis hin zu verarbeitend („Das Problem bist Du“, „H“).
Weidner und Röhr wachsen wieder einmal über sich hinaus. Stimmen zu den einzelnen Songs jener Zeit sprechen für sich:
Stephan zu „Hier sind die Onkelz“: Grundsätzlich handelt es sich bei diesem Lied um einen typischen Onkelz-Text mit den dazugehörigen Stilmitteln Ironie und Pathos. Zum zweiten Vers: Die geistige Verführung und das Kopfverdrehen stehen hier nicht für eine Beeinflussung in irgendeine politische Richtung, sondern für freien Geist und das Nicht-Konform-Gehen mit bestehenden Regeln und Zwängen. Natürlich bilden wir uns nicht ein, ein Land in den Ruin oder Tod stürzen zu können, noch würden wir dies begrüßen. In einer Gesellschaft, in der Begriffe wie Freiheit, Moral, Ethik und Gleichberechtigung zu Floskeln verkommen sind, ist dies auch gar nicht nötig, da wir sowieso auf dem besten Wege sind, uns gegenseitig zu zerfleischen.
Pressemappe, 1995
Stephan zu „Danke für Nichts“: Ganz klar: Früher hat sich kein Pressefuzzi für uns interessiert, und heute kommen sie angekrochen. Die Kritik geht nicht in Richtung der Musik-Fachzeitschriften, denn die setzen sich ja schon länger mit uns auseinander und haben ’nen anderen Ansatzpunkt, sondern in Richtung der Tagespresse und der Stadtmagazine. Die treten nach wie vor blind und ignorant auf irgendwas rum, was gar nicht mehr zu rechtfertigen ist. Die sollen nicht erwarten, dass wir sie mit offenen Armen empfangen, wenn sie aufgrund unserer Plattenverkäufe auf uns aufmerksam werden. Fakt ist, dass wir ganz gezielt aussuchen, mit wem wir uns unterhalten und mit wem nicht – und da gibt’s natürlich mehr Leute, die wir ablehnen. Gerade nach dem neuen Album werden sicher einige auf uns zukommen, die uns aber einfach mal kreuzweise am Arsch lecken können. Das haben wir uns fest vorgenommen, und das werden wir auch durchziehen.
Rock Hard, 1995
Stephan zu „Finde die Wahrheit“: Wenn ich mir das Trauerspiel in unseren Straßen, in meinem Fall in Frankfurt, ansehe, bekomme ich jedes Mal das Kotzen. Jeder prügelt auf jeden ein und jeder sucht die Schuld im anderen. Von wirklicher Rebellion ist nichts mehr zu spüren. Die einen sind angepasst, domestiziert und total konsumorientiert, den anderen ist alles scheißegal. Die legen dich für ’nen dummen Spruch oder den nächsten Schuss um. Ich denke, dass wir uns alle zu oft an den falschen Werten orientieren, uns vom Schein, von Äußerlichkeiten blenden lassen, und nicht nach einer tieferen Wahrheit suchen, was natürlich die Auseinandersetzung mit seinem Selbst bedeuten würde. Das, vor dem wir alle am meisten Schiss haben.
Pressemappe, 1995
Stephan zu „H“: Es geht um Kevins überwundene Heroinsucht. Ich habe das Stück im Proberaum auf der Akustikgitarre gespielt, den Text dazu gesungen und ein Demo davon aufgenommen. Das hab ich dann Kevin vorgespielt und ihn gefragt, was er davon hält. Kevin fand’s klasse und war bereit, diesen Text, der aus seiner Sicht heraus geschrieben ist, zu singen. Das Stück zeigt, in welcher Situation Kevin steckte und was das für ihn und uns bedeutet hat.
Rock Hard, 1995
Die Fachpresse ist begeistert. Begeistert vom neuen Sound der Onkelz, der viel offener und „weiter“ klang und dessen Richtung sich schon auf den Vorgängeralben abzeichnete.
Die Fans betrachten „Hier sind die Onkelz“ anfänglich zu großen Teilen skeptisch. Ihnen ist der Umstand suspekt, dass „ihre“ Lieblingsband nun bei einer der größten Plattenfirmen der Welt unter Vertrag steht, genauso wie die Tatsache, dass es zur Album-Veröffentlichung Fernseh-Spots gibt, die hin und wieder ausgestrahlt werden. Ungeachtet all dieser Tatsachen, ist das Album ein riesen Schritt nach vorne. Man kann deutlich spüren, wie gut der Band das Signing mit Virgin tut, wie groß die Rückendeckung von Udo Lange und seinem Team ist, und wie engagiert das B.O. Management zu Werke geht. Alle Zeichen stehen auf Zukunft.
Auf Zukunft stehen aber nicht die Zeichen bei „World of Music“, kurz WOM. Deren Geschäftsführer Rolf Brandt und Jürgen Burkhardt haben ein großes Problem mit der Band und dem Chart Erfolg der „Hier sind die Onkelz“. Onkelz Alben gibt es zu dieser Zeit nicht bei WOM zu kaufen. Und man ist sich vielerorts auch nicht zu schade, interessierte Kunden und Fans brüsk des Ladens zu verweisen, wenn diese sich nach der „neuen Onkelz“ erkundigen. Anfangs lässt man bei WOM in den Chart-Regalen noch den Platz frei, den die Onkelz gerade belegt hatten. Im Falle der „H.S.D.O.“ war das in der ersten Woche nach Release der fünfte Longplay Chart Platz. Das sah natürlich heftigst scheiße aus und führte obendrein dazu, dass sich Kunden fragten, warum da ein ganzes Regal leer steht. Das wird offensichtlich selbst den WOM Mitarbeitern und deren Management zu doof und durchschaubar, also lässt man einfach eine Woche später jede Band einen Platz vorrücken und schon hatte man das Problem gelöst. In der Oktoberausgabe des WOM Journals bezieht dann die Chefetage in einem vor Selbstgerechtheit, Doppelmoral und Anbiederei schon fast stinkendem Schreiben Stellung. Den offenen Brief, adressiert mit „Lieber Stephan Weidner“, bieten wir euch zur Ansicht an:
Während sich der Handel spaltet und man hysterisch überall den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört, bezieht Virgin Chef Udo Lange überall Stellung. Er gibt Interviews, muss sich immer wieder rechtfertigen und Öffentlichkeitsarbeit leisten. Da gibt es langjährige Geschäftspartner Langes, die sprechen plötzlich kein Wort mehr mit ihm. Andere gratulieren zur mutigen Entscheidung und dazu, die Onkelz endlich nach oben gebracht zu haben. Es ist eine schizophrene Situation, die Weidner mit „Danke für Nichts“ perfekt auf den Punkt bringt: „Ändert euren Namen sagst Du – ändere Deinen. Nur weil Du alles besser weißt, fang ich nicht an zu schleimen. Nichts würde sich ändern, nicht in Tagen, nicht in Jahren. Die Wahrheit ist in dir – und nicht in deinem Namen!“
Tracklisting „Hier sind die Onkelz“:
- Hier sind die Onkelz
- Finde die Wahrheit
- Danke für Nichts
- Ich
- Nichts ist für immer da
- Wer nichts wagt, kann nichts verlieren
- Ich mache, was ich will
- Du kannst alles haben
- Viel zu jung
- Das Problem bist du
- Lasst es uns tun
- H