Timeline

zurück

Am 10. Oktober 1988 erscheint das fünfte Studioalbum „Kneipenterroristen“ bei Metal Enterprises.

Der Albumtitel ist die logische Folge, nachdem gerade Kevin und Stephan immer wieder auf heftige Kneipentouren gehen. Mit glasigem Blick und runden Schuhen sind sie in die ein oder andere Kneipe kurz vor Ladenschluss eingezogen, haben gepöbelt, gesungen und gefeiert. Wann die letzte Runde vom Wirt eingeläutet wird, entscheiden sie. Während Kevin in der Küche den Inhalt des Kühlschranks gegen die Wand wirft, fliegen im Gastraum Stühle durch die Gegend. Es war ein bisschen wie im wilden Westen mitten in Frankfurt.

Mit 20.000 verkauften Platten ist die „Kneipenterroristen“ das bis dato erfolgreichste Album der Band. Und zum ersten Mal partizipieren sie von den verkauften Einheiten. Nowotny zahlt nicht regelmäßig und auch nicht das, was der Band zusteht, aber immerhin zahlt er. Buchhaltung war nicht seine Stärke: Die Rechnungen schreibt er überwiegend per Hand auf verschmierte Zettel, die vorher dazu dienten, dass der Tisch vor ihm nicht mehr wackelte. Dass ein Vertrag auch immer etwas mit Geben und Nehmen zu tun hat, ist Nowotny ohnehin scheißegal. Seine Stärke besteht zu der Zeit im Nehmen. Mit Kippe in der Hand, die Beine mit Cowboy-Stiefeln gekreuzt auf dem Tisch, seiner Klinsmann-Gedächtnis-Friese und der Stubenfliegenbrille sitzt er wippend im Bürostuhl und wartet, dass die Kasse klingelt. Die Onkelz sind sein bestes Pferd im Stall. Management und Konzert-Organisation kennt er nur vom Hören/Sagen.

Das Album war im Tanith-Studio in Lindheim aufgenommen worden. Während der Aufnahmen kommt es immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Stephan und Nowotny. Für Stephan ist das Maß mehr als voll und das will er keine Sekunde mehr für sich behalten. Wenn Weidner wutentbrannt den Raum verlässt, weil es sonst auf die Zwölf gegeben hätte, lässt Nowotny keine Gelegenheit aus, den anderen Jungs einzubläuen, dass sie sich doch unbedingt von Stephan trennen müssen. Nowotny´s Ausspielen der Band bleibt nicht ohne Folgen. Die Stimmung ist gereizt, Streitereien zwischen Stephan und Gonzo häufen sich. Mit „Onkelz wie wir“ (1987) und der nun erscheinenden „Kneipenterroristen“ ist der Vertrag mit Nowotny, der gerade ein halbes Jahr alt war, fast erfüllt. Wie und wann, bei den offenen Diskrepanzen, allerdings ein drittes Album unter Metal Enterprises entstehen soll, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Ebenso ungewiss ist die Zukunft nach dem nächsten Album. 

Die Texte der „Kneipenterroristen“ sind von Hyperbeln und Ironie geprägt, die Weidner ganz bewusst benutzt, um seinen Gedanken mehr Ausdruck zu verleihen. Diese sprachlichen Mittel bieten aber eben immer auch Spielraum für Interpretationen. Je nach Sicht auf die Onkelz und deren Texte, entscheidet oft auch der eigene Intellekt darüber, ob die Botschaft verstanden wird. Stephan brauchte diesen Konflikt. Er hatte nie den Anspruch, von allen gleichermaßen verstanden zu werden. Das Leben der vier Onkelz war so rauh wie Sandpapier und genau diese Reibung brauchte Weidner, um kreativ zu sein. Während dieser Zeit merkt er allerdings auch, dass es auch Wände gibt, die dicker als sein Kopf sind. Dass ein Konflikt für ihn nicht immer so glimpflich ablaufen musste, wie es bisher der Fall war. Irgendwann würde sein Schicksal von seiner Provokation so wütend sein, dass er das Echo nicht vertragen kann, soviel war klar. Fast wäre es soweit gewesen, als er mit Jochbein- und Nasenbeinbruch und einer tiefen Stichwunde am Bauch im Krankenhaus aufwacht. Zuvor war er mit Moni auf der Frankfurter Zeil unterwegs gewesen, wo Moni von zwei Dealern angequatscht wurde. Das genügte, um Stephan´s Halsschlagader zum Pulsieren zu bringen. Ehe er sich versieht, steckt ein Messer des Dealers in seinem Bauch und sein Gesicht ist zertrümmert. Es benötigt mehrere Operationen, um sein Gesicht wiederherzustellen. Es scheint, als würde sein Schicksal ihm die letzte Möglichkeit geben, über sein Handeln nachzudenken und endlich zu lernen.

Zu dieser Zeit sind Pe und Stephan des Öfteren zusammen unterwegs. Kevin hatte sich noch immer nicht von seinem schlechten Umfeld lösen können, und Gonzo war frisch verliebt auf Wolke 7 verschwunden. Stephan´s Umdenken sah man ihm sofort an: Die Haare waren mittlerweile so lang, dass sie über seine Schultern fielen. Er trägt von nun an zerrissene Jeans, Converse und Shirts mit Motiven, die der amerikanischen Skater-Kultur zuzuordnen waren. Pe und Stephan hatten die „Cadillac-Ranch“ für sich entdeckt. Dabei handelte es sich um einen Skateboard-Laden in Bockenheim, der neben Band-Shirts und Aufnähern, jede Menge Surf- und Skaterklamotten anbot. Weidners Interesse ist geweckt. Schon seit Längerem interessiert er sich für´s Surfen und Skaten. Pe und er besorgen sich Skateboards und üben, was das Zeug hält. Dazu gehören selbstverständlich auch Schürfwunden und Prellungen. Hinfallen und wieder aufstehen ist den Jungs bereits bestens bekannt und so schließt man zusehends neue Kontakte mit Gleichgesinnten. Das sind größtenteils Leute, mit denen sie vor ein paar Jahren nicht mal in einer Schlange im Supermarkt hätten stehen wollen. Diese Veränderung bleibt auch von Pia nicht unbemerkt. Zwar hatte Stephan stets versucht, seine Eskapaden nicht in ihre viel zu kleine Ein-Zimmer-Wohnung im Reuterweg zu tragen, aber Pia war aufmerksam und intelligent genug, um zu verstehen, dass die Wurzel von Stephan´s Aggressionen er selbst war.

Kevin startet immer wieder Versuche, Moni zurückzugewinnen. Sie war die Konstante in seinem Leben, die ihm zumindest etwas Halt gab. Moni ist hin und hergerissen. Auf der einen Seite weiß sie in ihrem Innersten, dass Kevin sie mit hinab in seine persönliche Hölle reißen wird. Auf der anderen Seite war sie immer wieder weich geworden, wenn er säuselnd vor ihrer Wohnungstür stand und sich zum tausendsten Mal für seine Eskapaden entschuldigte. Zwischen Moni und Kevin entsteht eine Co-Abhängigkeit, die Moni nicht unterbindet, sondern durch häufigeren Kontakt förderte. Es dauert daher nicht lange, bis sich auch Moni die erste Line Koks durch die Nase zieht. Dazu gesellt sich schon bald Extacy, dass Mitte der Achtziger zur Modedroge avanciert und schon bald in der „28“ geschluckt wird, wie Hustenbonbons. Immer dann, wenn alle vollgedröhnt bis oben hin auf den Abwegen ihrer eigenen Psyche flankieren, lässt Trimmi seine Vogelspinnen aus dem Terrarium, lässt sie auf seiner Zunge sitzen und setze sie – unter dem zuckenden Beifall der Anwesenden – auf Auge´s Vollbart. Die Weberstraße 28 hatte dann etwas von einem Zirkus, einer Freak-Show, dessen Besucher ein Teil der Show sind. A German Horror Story. Wer es nicht selbst erlebt hatte, konnte es nicht glauben. Es dauerte Stunden, manchmal Tage oder Wochen, bis die Aufführung vorbei war und die Anwesenden von der „28“ auf den Bürgersteig gespuckt wurden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ein Besucher des Zirkus nicht mehr zurückkehren würde.

Herbert Egoldt beobachtet indes den zunehmenden Erfolg der Onkelz und das abnehmende Geld auf seinem Konto. Es war doch zum Verrücktwerden: Irgendwie musste sich doch noch etwas Geld aus den Onkelz quetschen lassen. Zwar läuft „Der nette Mann“ nach der Indizierung noch viel besser, auch „Böse Menschen – Böse Lieder“ und „Mexico“ verkaufen sich ordentlich, aber zuviel ist bekanntlich nie genug. Ein Plan musste her. Egoldt veröffentlicht daraufhin mit „Hässlich“ und „Freitag Nacht“ zwei Pressungen mit laufwarmen Material, von dem nur das Stück „Hässlich“ unbekannt ist. Es handelt sich um eine längst aussortierte Nummer aus der RoR-Zeit. Abfall, der während der Aufnahmen des Debut-Albums entstanden war. Unnötig zu erwähnen, dass diese Veröffentlichung ohne Absprache mit der Band erfolgt. Egoldt zahlt weiterhin keine müde Mark an die Onkelz. Die haben hingegen keine rechtliche Handhabe gegen Egoldt, da die Plattenverträge zur damaligen Zeit die Abgabe sämtlicher Nutzungs- und Verwertungsrechte der Künstler an das Label beinhalteten.

Im Oktober ´88 gibt es dann eine Interviewanfrage der Spiegel-TV Redaktion aus Hamburg. Nachdem die Band zugesagt hatte, kommt ein Kameramann und ein Redakteur in den Proberaum der Onkelz, der sich seit einigen Jahren in einem Bunker in Offenbach befindet.

Das Interview:

Das Interview wird ein Desaster von beiden Seiten. Bei schlechtem Licht und eigenartiger Kameraführung, versucht der Reporter mit Suggestivfragen die Band aus der Reserve zu locken, was ihm allerdings nicht gelingen will. Die Band wiederum antwortet ständig durcheinander, raucht und rülpst. Kein Wunder also, dass der Beitrag nie das Licht der Welt erblickte. Die Erwartungen, die der Spiegel an dieses Interview hatte, erfüllten die Onkelz nicht. Eine weitere Diffamierung der Band, war mit diesem qualitativ-schlechtem Material nicht zu erreichen. An einer objektiven und differenzierten Berichterstattung hatte der Spiegel allerdings ohnehin kein Interesse.

Tracklisting „Kneipenterroristen“:

  • Kneipenterroristen
  • Religion
  • Lack und Leder
  • So sind wir
  • Tanz der Teufel
  • 28
  • Guten Tag
  • Nie Wieder
  • Freddy Krüger
  • Ein guter Freund

kneipenterroristen_b