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Während der ersten zwei Jahre spielen die Böhsen Onkelz vier Gigs im Juz Bockenheim.

Ihr Repertoire beinhaltet neben „Türken raus“ noch einige typische Punksongs, „Bullenschwein“, „Hinein in das schäumende Bier“, „Schöner Tag“, „Deutsche Welle“, „Bruno Baumann“ und andere. Gonzo bringt als erster eine gewisse, rudimentäre Professionalität in die Band, in dem er die Songs durch sein Können erheblich aufwertet. Aus dem anfänglichen Gegröhle werden nun richtige Punksongs, die vom meist jungen Publikum auch so verstanden und aufgenommen werden.

Der Punk findet zwar in den einschlägigen Musikzeitschriften seine Erwähnung, aber der Fokus der Berichterstattung liegt ausschließlich auf den „großen“ und „bekannten“ Bands, die zumeist aus England kommen. Gleichzeitig wird in Deutschland die „neue deutsche Welle“ etabliert. Weniger aggressives Songmaterial mit deutschen Texten, das in seiner Beliebigkeit und seiner „Softheit“ dem Punk das Wasser abgräbt. Während NDW-Bands wie Fehlfarben, DAF oder Ideal das Rampenlicht auf sich ziehen, haben es die authentischen Punkbands wie Slime, Abwärts, die Böhsen Onkelz oder ZK schwer. Ihre Popularität ist begrenzt und beschränkt sich auf ihren Herkunftsort. Die Fans rekrutieren sich ausschließlich aus der lokalen Punkszene. Nur mühsam erspielen sich diese Bands einen größeren Hörerkreis, der sich auf das gesamte Westdeutschland erstreckt. Hilfreich hierbei sind lokale „Fanzines“, kleine, zusammengebastelte Heftchen, die die „Szene“ mit all ihren Konzerten, Skandalen und Ausschreitungen beschreiben. Jede größere westdeutsche Stadt mit einer Punkbewegung, hat auch mindestens ein Fanzine. In Frankfurt gibt es zu Beginn der achtziger Jahre 3-4 verschiedene Fanzines, von denen „Primitiefes Leben“ von Patrick Orth das bedeutendste ist. Die Böhsen Onkelz sind gegen 81/82 ein wesentlicher Bestandteil der Frankfurter Punkbewegung, ihre sporadischen Konzerte und Auftritte jedoch, finden ausschließlich in „Primitiefes Leben“ Erwähnung.

…aus „Primitiefes Leben“ Nr. 2, Fanzine von Patrick Orth, Frankfurt, Juli ’81 „Es kam dann noch zu ’nem Zwischenfall. An diesem Abend war auch Kaiser wieder anwesend. Er spazierte vor die Bühne, als grade BÖSE ONKELS spielten und der Gitarrist von B.O. schnappte sich das Mikro und sang hinein „Nazis ins KZ, das wär‘ so furchtbar nett“ oder so ähnlich.“ (Zur Erklärung muss hier angeführt werden, dass „Kaiser“ ein stadtbekannter Faschoskin war, der sich gerne auf Punkkonzerten in Frankfurt sehen ließ und von allen Punks gehasst wurde.)

Interessant zu wissen: Patrick Orth ist seit langer Zeit und immer noch der erfolgreiche Geschäftsführer des Düsseldorfer Plattenlabels „JKP“ (Jochens kleine Plattenfirma) – dem Label und Mangement der Toten Hosen, Broilers u.a.

Hier Auszüge eines Interviews mit Patrick, das er für die Hosen-Homepage beantwortete:

Bei JKP hängt seit Jahren ein Zeitungsartikel über Dich an einem Schrank. Die Überschrift lautet: „Das IST Punk: Vom Flaschensammler zum Plattenboss“. Bringt das Dein Leben stark verkürzt auf den Punkt?

Das gehört irgendwie alles zusammen. „Flaschensammler“ war mein Einstieg als Punk in Frankfurt, wo ich ursprünglich herkomme. Mit 14, 15 gab es zwei Möglichkeiten, um an Geld zu kommen: Schnorren oder Flaschensammeln. „Hallo Hippie, hast Du mal ´ne Mark?“, war mir aber zu blöd. Der Punk-Hang-Out in Frankfurt war damals die Batschkapp, und da gab es 50 Pfennig Pfand für eine leere Flasche Bier. Wenn man frech genug war, hat man da an einem Abend 20 Mark gemacht. Und Punk-Rock war für mich der Einstieg in die Welt der Musik. Ob ich heutzutage „Plattenboss“ bin, muss sich jeder selbst ausdenken.

Bei Deinem Werdegang fällt auf, dass Du immer schon recht früh dran warst. Wie kommt man schon mit zwölf, 13 Jahren auf seine ersten Konzerte?

Ich war immer der Jüngste, überall. Ich habe mich halt sehr früh für Musik interessiert, das ging schon mit neun, zehn Jahren los. Und ich war immer auf der Suche nach extremer Musik. Extreme Musik war Ende der 70er Jahre gleichzusetzen mit harter Musik, experimentelle Musik kam erst später auf. Meine erste Platte war von Supertramp, die zweite schon von Deep Purple: „Made in Japan“. Mit 13 habe ich dann im Stern einen Artikel über Punk in Deutschland gelesen, mit einem legendären Foto aus einer Hamburger Kneipe. Und am nächsten Wochenende war ich auf dem Flohmarkt und habe mir die „Never Mind The Bollocks“ von den Sex Pistols gekauft. Danach war nichts mehr wie vorher. Erstmal musste die ganze alte Plattensammlung weg (lacht).

 

„Immer der Jüngste“, Kid-Punk Patrick 1981 in Franfurt

Was hat Punk für Dich damals bedeutet?

Für mich musste Punk immer laut, hart und extrem sein. Außerdem war mir aber auch diese Philosophie wichtig, dass man selber etwas machen muss. Also nicht, irgendwohin zu gehen und nur zu konsumieren, sondern selbst etwas auf die Beine stellen. Ich hatte aber nie das Bedürfnis, selber Musiker zu werden, mir reichte das Fansein. Die heilige Dreifaltigkeit des Punk-Rocks lautete damals: Entweder hat man Konzerte veranstaltet, in einer Band gespielt oder Fanzines geschrieben. Und weil das Einzige, was ich schon in der Schule immer gut konnte, Reden und Schreiben war, lag es nahe, ein Fanzine zu machen.

Das Fanzine, das Du Anfang der 80er Jahre verantwortet hast, hieß „Primitiefes Leben“…

…und war mein Einstieg in die lokale Punk-Szene. Nachdem ich meine ersten Platten gekauft hatte, war mir nicht verborgen geblieben, dass es auch in Frankfurt Punks gab. Mit 14 war ich bei den richtigen Punks aber immer nur „der Kleine“. Ich war halb so groß wie heute und trug eine alte Anzugjacke von meinem Vater, weil ich mir eine Lederjacke nicht leisten konnte. Hinten drauf hatte ich „KFC“ geschrieben, weil damals nun mal jeder Punk irgendeinen Bandnamen auf seiner Jacke hatte. Ich hatte dadurch dann auch schnell meinen Spitznamen weg und wurde von da an als „das KFC-Männlein“ bekannt. KFC und Buttocks waren damals einfach die härtesten deutschen Punk-Bands. Der KFC galt sogar als die absolute Provokations-Kapelle. Wo die hingekommen sind, gab es immer Ärger. Die haben sich sogar mit ihrem eigenen Publikum angelegt. Und das alles fand ich super.

Wie lange hast Du das Fanzine herausgegeben?

Die erste Ausgabe erschien 1981. Da war ich mit meinen Eltern im Osterurlaub im Odenwald und habe alles mit der Schreibmaschine auf dem Hotelzimmer geschrieben. Das war dann aber auch der letzte Familienurlaub für lange Zeit, das ging als Punk natürlich nicht mehr (lacht). Zuerst habe ich immer so 200 bis 300 Stück gemacht. Die letzte Ausgabe erschien 1985, 1986 in 500er-Auflage. Da wurden dann auch andere Sachen wichtiger, Sex & Drugs & Rock´n´Roll bzw. das, was man als frisch volljährig Gewordener dafür hielt. Punk-Rock in Frankfurt war auch einfach eine sehr öde Angelegenheit. Frankfurt ist zwar ungefähr so groß wie Düsseldorf, es war aber damals viel weniger los. 1981 gab es in ganz Frankfurt vielleicht eine handvoll Konzerte, auf die man gehen konnte, zu den Buttocks, Abwärts, der KFC war mal da und drei, vier Konzerte in irgendwelchen Jugendzentren.

Das „KFC-Männlein“ nebst Begleitung, Herbst 81 FOTO:B. KLEMM

Welche lokalen Bands gab es zu dieser Zeit in Frankfurt?

Die Straßenjungs waren Ende der 70er eine Erfindung der Plattenfirma CBS, der heutigen Sony. Die hatten The Clash unter Vertrag und haben gedacht: Das können wir doch auch auf Deutsch machen! Die Straßenjungs waren gecasted und von daher ohne Bedeutung für uns. Den Rest übernahmen etwa zehn lokale Bands aus dem Jugendzentrum Bockenheim, die aber immer aus denselben 15 Leuten bestanden. Die Punk-Szene in Frankfurt bildeten vielleicht 50 richtige Punks – und davon kamen noch zehn aus dem Taunus. Wenn du amtliche Bands wie die Bad Brains sehen wolltest, musstest du also wegfahren. The Clash, Iggy Pop, The Undertones oder Cockney Rejects haben zum Beispiel in der Wartburg in Wiesbaden gespielt.

Wie ist man damals als junger Punk in Hessen gereist?

Fahren bedeutete Trampen. Und da konnte es auch mal passieren, dass man den halben Tag an der Autobahn gestanden hat. Was mich an Punk aber auch so faszinierte, war, dass es plötzlich so ein Netzwerk gab. Man gehörte zu einer Gang, fuhr in eine andere Stadt und hat dort auch sofort „seine Leute“ gefunden. Wenn einer einen Irokesenschnitt oder grüne Haare hatte, war einfach klar, dass der zum selben Klub gehörte. Und dann hat man den einfach gefragt, wo heute Abend was abgeht. Die Rumreiserei und der Austausch mit anderen Städten gehörten immer dazu, speziell über das Vehikel Fanzine. Ich habe vielleicht jeweils 100 Exemplare in Frankfurt verkauft, der Rest ging als Tausch-Abo in andere Städte.

Was waren für Dich die wichtigsten Punk-Hochburgen dieser Zeit?

Gegen Berlin und Hamburg konnten wir nicht anstinken: Da gab es ja sogar komplette Punk-Plattenläden! Wir haben uns unsere Platten im Montanus gekauft, einem stinknormalen Plattenladen, in dem es lediglich ein Fach gab, auf dem „Punk“ drauf stand und wo dann acht Platten drin waren. Daraus entwickelte sich bei den Frankfurter Punks auch ein ziemlicher Minderwertigkeitskomplex. Während die Berliner in unseren Augen eher die Hippie-Punks und Anarchisten waren, haben wir dann mehr einen auf Rechtsdrall gemacht. Sid Vicious mit dem Hakenkreuz-T-Shirt fanden wir mit 15 Jahren dann natürlich auch ganz toll, was aus heutiger Sicht natürlich die totale Deppen-Nummer ist.

„PRIMITIEFES LEBEN“, Patricks Frankfurter Fanzine – Frühe 80er Jahre

In Frankfurt hattest Du zwangsläufig auch Kontakt zu den Böhsen Onkelz?

Es gab zwei Bands in Frankfurt, die ihre Instrumente richtig rum halten konnten, und für uns Lederjacken- und Nieten-Punks interessant waren: Middle Class Fantasies und Böhse Onkelz. Als ich die Onkelz kennen gelernt habe, waren das Punks, der Sänger mit einem grünen Irokesenschnitt und lauter Crass- und Anarchy-Abzeichen. Irgendwann ging es dann aber allgemein mit dieser Skinhead-Nummer los. Ein Großteil der Frankfurter Punk-Szene hatte aber auch schon vorher mit dieser schwachsinnigen Nazi-Symbolik kokettiert. Das Hauptfeindbild war die Hippie- und Alternativ-Kultur, die die End-60er konserviert hatte und in der Subkultur in Frankfurt an den Schlüsselstellen saß. Und Hippies konnte man nun mal am leichtesten provozieren, indem man sich eine rechte Gesinnung zulegte. Es war 1982, man war 15 Jahr alt, und hat einfach nicht darüber nachgedacht, dass so etwas Absurdes wie Faschismus noch mal in irgendeiner Form auch nur ansatzweise zu einem Problem in Deutschland werden könnte. Extrem peinliche Fehleinschätzung.

Wann fand die weitergehende Politisierung der Szene statt?

Skins und Punks waren zunächst mal eine Suppe. Unangenehm wurde es erst, als die ersten Skinheads auftauchten, die ohne Umweg Punk-Rock direkt vom Fußballproll zum Skinhead mutierten. Die mussten auch ihre politische Einstellung oft nicht ändern. Bei den Onkelz haben sich dann plötzlich auch drei Bandmitglieder die Haare abgeschnitten. Dadurch waren sie mit einem Mal das Aushängeschild der Skinhead-Fraktion. Der Weidner selbst war irgendwann ziemlich sauer auf mich, als ich in meinem Fanzine die Skinheads kritisiert habe, die im Tempodrom in Berlin rumgenervt hatten, bei einem Konzert von Toten Hosen und Ärzten. Das ging bis zum Fanzine zerreißen und Androhung von Gewalt, Spaß hat das keinen gemacht – und ich habe mit den Onkelz dann auch jahrelang nichts mehr zu tun gehabt. Heute haben sie für mich eine wichtige Sozialarbeiter-Funktion, indem sie Teenager-Dumm-Prolls, die politisch auf der Kippe stehen, sagen können: „Wir waren früher wie Ihr. Aber wir können Euch heute sagen, dass dieser ganze Nazi-Kram totaler Schwachsinn ist. Wir haben den Fehler gemacht. Macht Ihr ihn nicht auch!“ Bands wie den Hosen oder Ärzten hört in dieser Szene sowieso keiner zu. Für die sind wir die linken Zecken. Aber die Onkelz gelten als tätowierte Hauer, zu denen sie aufschauen können.

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Während bereits die „Rock’n’Roll“- Bewegung der fünfziger und die „Flower Power“- Bewegung der sechziger von der Presse per se als gefährlich, drogenverseucht, aufwieglerisch, anachistisch und verurteilenswert dämonisiert wurde, ist es mit der Punkbewegung Ende der siebziger und anfang der achtziger Jahre nicht anders. Die Punkbewegung, von England kommend, wird in der Presse, als das „Schlimmste“ bezeichnet, was der Jugend in Deutschland überhaupt passieren kann. Die politische Linke wittert eine Chance und beginnt massiv die Punkszene zu infiltieren. Althippies und Anarcho-Veteranen der siebziger Jahre beginnen in der deutschen Punkszene aktiv zu werden, nicht ohne Erfolg. Die Gesellschaft und die Musikindustrie vermarktet die Neue Deutsche Welle als die handzahme und weichgespülte Version des Punk in immer groteskeren Varianten. Während die Musikindustrie im Wochentakt ein neues One-Hit-Wonder unter dem Ettikett „Punk“ auf die ahnungslose Hörerschaft loslässt, wenden sich bundesweit die hartgesottenen und kampferprobten Punks angewidert ab.

Die Böhsen Onkelz bestreiten im Sommer/Herbst zwei Konzerte in der ausverkauften Batschkapp und werden wieder vom Frankfurter Fanzine „Primitefes Leben“ als die Punkband der Stunde gefeiert. Ebenfalls 1981 veröffentlicht die Band ein erstes „semi-offizielles“ Demotape in schlechter Qualität, auf dem unter anderem dann auch der Skandalsong „Türken Raus“ zu hören ist.

Zu dieser Zeit gilt der Song noch als Lachnummer, was auch dadurch deutlich wird, dass die Band am 14.11.1981 im „türkischen Familienzentrum“ am Wiesenhüttenplatz in Frankfurt einen Gig spielt. Das Demotape macht jedoch in einer geringen Stückzahl die Runde und sorgt dafür, dass die Böhsen Onkelz auch über die Grenzen Frankfurts hinaus, bekannt werden. Schlägereien mit ausländischen Jugendlichen, mit „Poppern“, „Mods“ oder „Wavern“, kurz mit allem, was nicht Punk ist, finden weiterhin täglich statt. Während die „neue deutsche Welle“ ihren Siegeszug antritt und sich über mangelndes Radioairplay nicht beklagen kann, zerfällt die Punkbwegung zum Jahreswechsel 81/82. Viele Punks lassen sich von der linken Argumentation vereinnahmen und beginnen sich politisch zu organisieren, andere stehen fassungslos daneben. Wieder andere steigen ganz aus und werden „normal“.

Die Böhsen Onkelz, in ihrer ganzen asozialen Anrüchigkeit und Authentizität schauen mit einem Auge auf den Haufen Scherben, den die zersplitterte Punkbewegung hinterlassen hat, mit dem anderen Auge nach England, wo sich ein neuer Trend abzeichnet. Wie immer gelangt auch diesmal eine neue Bewegung zeitversetzt nach Deutschland. Das Zauberwort heißt „Oi“!

Zum Jahreswechsel 81/82 fahren die Böhsen Onkelz nach Berlin, um beim linken Label „Aggressive Rockproduktionen“ von Karl Walterbach (heute „Noise“-Label) zwei Stücke für den „Soundtrack zum Untergang“ Vol. II einzuspielen. Während dieser Aufnahmen, die mehr als chaotisch verlaufen, wechseln Gonzo und Stephan die Instrumente. Die endgültige Formation der Böhsen Onkelz steht und wird bis heute beibehalten. Ebenfalls sind auf dem „Soundtrack zum Untergang“ Vol.II deutsche Underground Punkbands wie „Normahl“, „Blitzkrieg“, „Neurotic Arseholes“, „Notdurft“ und andere vertreten. Seit den späten neunziger Jahren, ist diese Compilation als CD wieder im Handel erhältlich. Obwohl man die Böhsen Onkelz auf dem Booklet nicht erwähnt, sind die beiden Songs „Hippies“ und „Religion“ immer noch auf dieser Veröffentlichung zu hören. Eine Lizenzabrechnung von Karl Walterbach hat es bis heute nicht gegeben.

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