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Es fühlt sie ein wenig surreal an, dass dies bereits der vorletzte Konzertbericht der diesjährigen Open Air Tour 2024 ist. Wie ein Rausch, wie eine Welle auf der wir ritten, sind bis hierhin 14 Konzerte gespielt und kein einziges war wie das Andere. 14 Mal in einem zweieinhalbstündigen Rausch aus Emotionen. 14 Mal die besten Onkelz mit den besten Fans aller Zeiten. Doch der Reihe nach.
Ulm, ich will ehrlich sein: Ich habe euch ein wenig unterschätzt. Denn natürlich stellt man sich gedanklich im Vorfeld einer Tour die Frage, was werden wohl die Städte sein, die in Sachen Stimmung, Gesänge und Fans die Messlatte der Tour bestimmen werden. Da hatte ich persönlich natürlich Frankfurt als Onkelz-Heimspiel auf dem Zettel und Berlin in der Waldbühne. Dass Dresden und Oberhausen darüberhinaus wohl Maßstäbe in Sachen Stimmung und Chöre setzen würden, damit war irgendwie zu rechnen. Aber dass am Ende Ulm, wenn man denn vergleichen will, ansatzlos in die Top 3 dieser Tour einzieht, hätten vermutlich nur sehr wenige gedacht.
Ohnehin hat uns Ulm seit unserer Ankunft aus Oberhausen vom Beginn an imponiert. Hier wirkte irgendwie alles sehr aufgeräumt, sehr bodenständig und unaufgeregt. Die schöne Altstadt nutzen wir am Off-Day zum Erkunden der Gegend und immer wieder fühlten wir uns ein wenig an Bremen erinnert, das ein ähnliches Städtebild hat. Ich hoffe, hier gibts keine mir unbekannten Städterivalitäten. Ulm empfing uns von Beginn an mit offenen Armen, wenngleich wir hier und da ein wenig auch mit Argwohn beäugt wurden. Denn auch die Shows im Wiley-Sportpark, und hier schließt sich der Kreis zu Bremen, waren im Vorfeld nicht gänzlich ohne Gegenwind geblieben.
Apropos Wiley-Sportpark, oder wie der Ulmer sagt: „im Wileys“, gab es noch nie ein Onkelz-Konzert. Dabei ist das ehemalige Militärgelände, mit dem nach hinten ansteigenden Hang eine echte Augenweide. Umsäumt von Sport- und Freizeitplätzen und von einem Trampolin- und Skatepark, hat das Gelände einiges zu bieten. Und auch der B.O.S.C.-Bus fügte sich nahtlos neben der Hochschule für angewandte Wissenschaften in das Gesamtbild ein. Nein, ich muss schon sagen, der Wileys hat was. Da war es nur logisch, dass wir in Neu-Ulm das große Besteck auffahren und die Bühne in ihrer vollen Pracht in die Landschaft zeichnen. Ganze vier Tage hat der gesamte Aufbau übrigens gedauert, an dem wieder über 200 Leute beteiligt waren. Stephan dankt nicht zu Unrecht Abend für Abend der gesamten Crew, denn es ist schwer mit Worten angemessen zu wertschätzen, was die unzähligen Helferinnen und Helfer hier leisten. Chapeau, denn ohne euch wäre hier alles nichts.
Ulm, auch wenn ich hier bereits ein wenig das Ende vorweg nehme: ihr wart an beiden Tagen ganz nah dran am Prädikat „Die perfekte Show“. Es war ein einziger Rausch, anders kann ich es kaum beschreiben. Wir sind gemeinsam zweieinhalb Stunden auf einer Welle geritten, ohne dabei nass zu werden. Als um 20.25 Uhr, die Sonne hatte bereits den Weg in den Abend geebnet, das Intro begann, war die Stimmung in Neu-Ulm bereits mit großen Schritten auf dem Weg zum Kulminationspunkt. Und da hatte Kevin noch nicht einmal sein unvergleichliches „Jaaaaaa“ bei „Guten Tag“ ins weite Rund geschickt. Nein, Neu-Ulm war von Beginn an da und dieser Funken sprang auch direkt auf die Band über.
Das erste Mal Gänsehaut hatte ich diesmal bereits bei „Finde die Wahrheit“, was in Anbetracht der mehr als 60.000 Hände gen Neu-Ulmer Nachthimmel auch nicht überrascht. Schon nach wenigen Songs nickten wir uns in der Crew zuversichtlich zu, weil uns allen schnell klar wurde, dass Neu-Ulm ein ganz heißer Anwärter auf den Stimmungsthron dieser Tour werden könnte. Es folgten mit „Gehasst, verdammt, vergöttert“ und „Danke für nichts“ fette Nummern, die allesamt von der ersten bis zur letzten Note besungen und gefeiert wurden. Wir waren allein schon davon beseelt, in eure Augen zu schauen, wie ihr jedes Stück dieser besonderen Setlist mit all eurer Energie und Leidenschaft gewürdigt habt. Bei „Kuchen und Bier“ und „So sind wir“ war allen dann spätestens klar, diese beiden Abende werden in vielerlei Hinsicht in die Geschichte eingehen. Menschen, die sich singend in den Armen liegen, soweit mein Auge reichte, „So sind wir“-Chöre und immer wieder Bengolos – Onkelz-Herz, was willst du mehr?
Neu-Ulm, das war ein bunter Haufen von Onkelz-Wahnsinnigen in allen Generationen. Ich sehe zwei ältere Herren in der ersten Reihe, die wahrscheinlich schon einige Jahrzehnte Fans der Onkelz sind. Daneben steht wiederum ein Junge, der ein Enkel sein könnte, allerdings textsicherer ist, als die beiden Alten. Schräg dahinter sehe ich zwei junge Frauen, die zu jedem Song einfach stoisch Pogo initiieren, unabhängig der Frage, ob sich das Stück für Pogo überhaupt eignet. Getoppt wird das ganze bunte Treiben nur von einem Voodoo-Meister aus der Zeitkapsel von Woodstock 1969, der sich wiederum die angesprochenen Mädels zum orientalisch-anmutenden Tanz ausgesucht hat. Es war einfach eine große Freude, euch alle unter dem Dach der Onkelz feiern zu sehen!
Aus der Reihe der unterschätzten Songs, muss unbedingt „Gestern war heute noch morgen“ genannt werden. Das Stück groovt in Kombination mit Vinny, dem Tastenvirtuosen so dermaßen, dass es zumindest mir nie gelingt, dabei still stehen zu bleiben. Ein Song, der einfach Optimismus ausstrahlt, der Spaß macht und uns immer wieder ermahnt: „Nur der Moment zählt, der Augenblick, sieh nach vorne, nie zurück“. In die gleiche Reihe, aber mit konträrer Stimmung, reiht sich „C’est la vie“ ein. Ein wichtiges Stück, weil es auf Missstände hinweist, die heute noch mindestens genauso präsent und dramatisch sind, wie vor über 24 Jahren, als der Song entstanden ist. Ein Lied über die Abgehängten unserer schnellen, leistungsorientierten Gesellschaft, die manchmal verschuldet, manchmal unverschuldet irgendwo in ihrem Leben falsch abgebogen sind. „In Gedenken an all die Leute, denen es soviel schlechter geht als uns“, gibt Stephan den Neu-Ulmern vorab mit auf den Weg. Und genau deshalb liegt uns der B.O.S.C. so am Herzen, weil es darum geht, genau diesen Menschen zu helfen, die in diesem Lied besungen werden.
Eine mindestens ebenso wichtige Botschaft steckt in „Angst ist nur ein Gefühl“. Die Nummer stammt von der „Heiligen Lieder“ und ist mittlerweile sage und schreibe 32 Jahre alt! Leider muss man konstatieren, dass sie heute mehr denn je noch immer aktuell ist. Was mit dem Titel in der Theorie so vermeintlich trivial klingt, ist in der Praxis für viele leider schwerer Alltag: Der Umgang mit Ängsten und Panikattacken. Mehr als 10 Prozent aller Deutschen leidet an behandlungsbedürftigen Angststörungen. Das entspricht 8.400.000 Menschen. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen! Unnötig zu erwähnen, dass die Dunkelziffer nochmal deutlich darüber liegt. „Angst ist nur eine manipulative Illusion, stellt euch euren Ängsten!“, bringt es Stephan auf den Punkt. Wenn ihr unter Angststörungen, Panikattacken oder welcher psychischen Erkrankung auch immer leidet, macht den ersten Schritt und lasst euch helfen. Das Leben ist viel zu kurz, um sich von Angst beherrschen zu lassen!
Nach diesen schweren, wenn auch sehr wichtigen, Stücken biegt Neu-Ulm dann in das letzte Drittel der Setlist ein und verwandelt den Wiley-Sportpark noch einmal in eine feiernde, pogende Masse aus Onkelz-Wahnsinnigen. Den Anfang macht „Nichts ist für die Ewigkeit“, der sich einfach so unglaublich gut dramaturgisch aufbaut und dann spätestens mit dem Solo von Gonzo seine Klimax findet. Weiter geht es mit „Terpentin“ und am Ende werden es wohl „Auf gute Freunde“ und „Mexico“ sein, die diese Abende für alle, die dabei waren, zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.
Neu-Ulm, es war uns ein Fest bei euch gewesen zu sein! Ihr habt uns an beiden Abenden so viel Energie gegeben, von der wir noch lange zehren werden. „Es macht uns wahnsinnig stolz, für euch zu spielen“, ruft Stephan in die Nacht, ehe sich der Wiley-Sportpark wieder leert. Beim Gang zurück sehe ich in so viele zufriedene, glückliche Gesichter, dass es mich tief berührt, in Neu-Ulm dabei gewesen zu sein. Es war grandios, es war besonders und es war bewegend, anders kann ich es nicht beschreiben. Zwei weitere unvergessliche Abende, die sich nahtlos in diese großartige Open Air Tour 2024 einfügen.
Danke, wir werden uns wiedersehen!
✏️ // Marco Matthes
📸 // Christian Thiele