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Die beiden Konzerte der Open Air Tour 2024 in der Berliner Waldbühne liegen nun schon einige Wochen hinter uns. Genug Zeit, um die Abende zu reflektieren, aufzuarbeiten und sie mit diesem Konzertbericht, in dem viel Zeit und Herz steckt, abzuschließen. Dabei komme ich nicht umhin, die Geschehnisse am zweiten Abend und insbesondere die daraus resultierte, mediale Berichterstattung einmal vorweg zu nehmen.

Zunächst möchten wir an dieser Stelle nochmals und ausdrücklich den Angehörigen der am zweiten Tag verstorbenen Frau unser Beileid aussprechen. Wir haben mit dem Lebensgefährten der Verstorbenen gesprochen und es war ihm Wunsch und Bedürfnis zugleich, die folgenden Zeilen in diesen Konzertbericht aufzunehmen: Zunächst möchte er sich bei Euch, den Fans, für Eure Rücksichtnahme und Anteilnahme in dieser Ausnahmesituation bedanken. Ein großer Dank geht auch an die Rettungskräfte vor Ort, die mit allen Mitteln und Kräften versucht haben, das Leben seiner Lebensgefährtin zu retten. Am Ende leider vergeblich. Ein kleiner Trost in diesen schweren Stunden ist das Gefühl, dass sie diese Welt mit der Musik verlassen hat, die sie am meisten geliebt hat: Die der Onkelz.

Was allerdings nach dem tragischen Todesfall in den einschlägigen Medien, allen voran der BILD-Zeitung, zu lesen war, ist an Niedertracht und Verlogenheit kaum zu überbieten und wir sind bekanntlich einiges gewohnt. Einziges Ziel dieser Artikel ist es, die Onkelz zu diskreditieren – so weit, so bekannt. Dies aber auf dem Rücken einer Verstorbenen zu tun, die in den Überschriften als „Opfer“ tituliert wurde, was wiederum einen Täter insinuiert, ist so perfide, dass mir ausnahmsweise die Worte fehlen. Darüber hinaus war fast ausnahmslos von einem „Rettungs-Chaos“ und vom „Chaos beim Konzert der Böhsen Onkelz“ zu lesen, was eilig und selbstredend ohne Eigenrecherche von sämtlichen Portalen per Copy & Paste blindlings übernommen wurde.

Natürlich wollte jeder dieser belanglosen Gazetten den rasenden Klick-Zug dieser Schlagzeile nicht verpassen. Denn mit „Onkelz“, „Tod“ und „Chaos“ in einer Titelstory lässt sich schließlich in Windeseile viel Geld verdienen. Um das ganze Thema abschließend auf ein fundierte Ebene zu bringen: Es gab an diesem zweiten Abend in Berlin insgesamt 49 Hilfeleistungen, wovon 10 in Krankenhäuser transportiert wurden. 3 Personen mussten reanimiert werden, wovon eine leider erfolglos war. Es gab 1 Hausverweis und drei Körperverletzungen. Inwiefern man hier bei 22.000 Fans eines ausverkauften Rockkonzerts von einem „Rettungs-Chaos“ sprechen kann, darf sich jeder gern selbst beantworten. Und an die betreffenden Medien: Danke für nichts! Das soll es zu diesem Thema gewesen sein.

Die Berliner Waldbühne ist als Veranstaltungsort für Rockkonzerte diese Dimension Himmel und Hölle zugleich. Auf der einen Seite haben wir diese steil ansteigende Wand aus Sitzplätzen, die wohl jede Künstlerin und jeder Künstler einmal ausverkauft von der Bühne aus erleben möchte. Wir haben einen knackigen Sound und ein schönes Ambiente durch die von Bäumen umsäumte Waldbühne. Die Kehrseite sind allerdings enge Wege zu den Plätzen, Treppenstufen von denen jeder Unfallchirurg abraten würde und eine einzige Zufahrtsstraße, über die an den Veranstaltungstagen ununterbrochen Produktionsfahrzeuge hin und her zirkulieren. So auch in Vorbereitung auf die beiden Konzerte der Onkelz.

Ein guter Freund wird mir noch spät in der Nacht schreiben, dass er während des Konzerts mehrfach seinem jugendlichen Ich begegnet sei und immer wieder Tränen in den Augen gehabt habe. Mit Blick auf Stephans Ansage zu Beginn: „Wir sind hier, um mit euch eine unvergessliche Nacht zu haben“, scheint dieses Versprechen ganz offensichtlich erfüllt worden zu sein. Ohnehin war Berlin in der Onkelz-Historie immer eine gute Adresse für unvergessliche Konzerte und dieses Mantra sollte sich auch an diesen beiden Abenden bewahrheiten. Immer wieder schallt es „Oh, wie ist das schön“ von den Rängen, was die Band wiederum mit kurzen Pausen dankend aufnimmt. Die Onkelz, und das sei an dieser Stelle bemerkt, sind an beiden Tagen sofort im Konzert und von ihrer Bühnenpräsenz in Höchstform. Nach fast 44 Jahren seit der Bandgründung und mit dieser außergewöhnlichen Setlist, ist das sicher keine Selbstverständlichkeit. Kevin ist stimmlich konstant stark, Stephan und Gonzo erscheinen in herausragender Physis und Pe trommelt mit der Präzision eines Metronoms. Diese Vier sind ohne jeden Zweifel in einer bemerkenswerten Verfassung, was sie Abend für Abend seit Beginn dieser Open Air Tour 2024 konstant unter Beweis stellen. Der ein oder andere Fan formuliert es in den Kommentaren unserer sozialen Kanäle noch klarer: Das sind die besten Onkelz aller Zeiten – da will ich nicht widersprechen.

Nachdem wir bereits einige Shows und damit auch Songs der Setlist in diesen Konzertberichten ausgiebig seziert haben, möchte ich nur auf jene Stellen eingehen, die mir aus diesen beiden Abenden ganz besonders in Erinnerung geblieben sind.

Stephan, der schon zu Beginn der beiden Konzerte mit einem breiten Grinsen die Berliner Stimmung immer wieder wie Seelenbalsam auf sich wirken lässt, deutet an, dass man bei dieser Stimmung und diesem Publikum doch eigentlich jedes Jahr auf Tour gehen müsste. Berlin reagiert umgehend auf diesen Wink und legt bei „Du kannst alles haben“ und „Danke für nichts“ gleich nochmal eine ordentliche Schippe drauf. Ich sehe überall Hände, Leute, die sich ihren Frust, ihre Ängste, ihre Wut von der Seele singen und sie finden in den Liedern der Onkelz einen Kanal dafür.

Mitten im freien Fall dieser Emotionen, dieser Gefühle, heißt es dann plötzlich: Augen schließen, einmal tief durchatmen und Bühne frei für „Zu nah an der Wahrheit“. Die Atmosphäre, die dieses Stück auch 28 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch auslöst, ist mit Worten schwer zu beschreiben. Überall liegen sich Menschen in den Armen, schwanken im Takt der Musik, schließen die Augen und singen. Sie besingen gemeinsam die Verbindung zwischen Band und Fans, die seit nunmehr fast 44 Jahren hält und stärker denn je zu sein scheint. Ein Bild, das berührt und uns immer wieder vor Augen führt, welche Bedeutung diese Band für so viele Menschen da draußen hat. Als der Song endet schallt es minutenlang wieder „Oh, wie ist das schön“ durch die Waldbühne – es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Diese Momente werden sich wohl niemals abnutzen, oder zur Gewohnheit.

Zwei Perlen, die auch in den Gesprächen mit euch immer wieder als Highlights genannt werden, sind „Ohne mich“ und „H“. So auch in Berlin. „Lasst uns mal über unsere Gemeinsamkeiten reden“, gibt Stephan gleich zu Beginn zu bedenken. Der Song ist inhaltlich ausreichend besprochen und klar, aber er ist einfach sehr wichtig und soll deshalb auch hier seine Erwähnung finden. Gleiches gilt für „H“. Das gute Stück haben wir jetzt bereits mehrfach in seiner Uraufführung auf dieser Tour gehört und es ist immer wieder magisch. Wenn Gonzo auf seinem Hocker Platz nimmt, sich Kevin daneben in Position bringt und die Bühne im roten Licht ertrinkt, ist es zumeist für einen Moment ganz still. Dann schlägt Gonzo die ersten Töne an und die magische Aura dieses Songs beginnt. Ist euch aufgefallen, wie unterschiedlich Gonzo die Strophen und den Refrain in seinen Anschlägen akzentuiert und damit Kevins Stimme noch stärker wirken lässt? Jedes Lied dieser Setlist hat irgendwie seinen besonderen Momente und bei „H“ ist es für mich ganz persönlich, wenn Kevin die folgende Zeilen singt: „Jetzt, wo ich clean bin, wird mir alles klar. Jetzt, wo ich clean bin, weiß ich, wo ich war. Es riss mich fort in eine andere Zeit, in andere Welten. Ich floh vor mir, vor meinen Hirn und meinen Ängsten“ und am Schluss „vom Heroin besessen, vom H besessen“. Ich bekomme allein vom Schreiben schon wieder Gänsehaut. Das ist magisch, Punkt! Mit „Lasst die Finger von den Drogen, es lohnt sich“, holt Kevin Berlin dann wieder zurück in die Gegenwart – ins Hier und Jetzt.

Das ist auch dringend nötig, denn mit „Nichts ist für die Ewigkeit“, „Terpentin“ und dem Zugabenblock wird der Stimmungspuls ab da an konstant auf dem Höhepunkt gehalten. Berlin pogt, Berlin singt, Berlin feiert gemeinsam die Onkelz. „Ihr werdet jedes Jahr geiler“, merkt Stephan an und verweist darauf, dass er mittlerweile drei Generationen von Familien in den ersten Reihen erkennt. Die Band hat an diesen beiden Abenden einfach wahnsinnig viel Spaß mit Berlin und Berlin wiederum mit den Onkelz. Mit „Auf gute Freunde“ und „Mexico“ im Zugabenblock, die einfach immer und überall funktionieren und jede Stadt zuverlässig in Ekstase versetzen, biegt das Set auf die Zielgrade ein. Am Ende steht „Erinnerungen“ und genau das ist es, was die 44.000 Menschen aus diesen beiden Abenden für sich mitnehmen können. Es sind die gemeinsamen Erinnerungen, die uns am Ende bleiben. Vergraben wir sie tief in unseren Herzen.

„Berlin, ihr erzeugt eine wahnsinnige Energie, es waren wunderschöne Abende mit euch!“, ruft Stephan in die Nacht. „Für euch fehlen mir heute die Superlativen. Dankeschön, Berlin, das war großes Kino“, fügt er an, ehe sich die Waldbühne langsam leert. In nur wenigen Stunden wird hier nichts mehr an diese beiden Abende im August 2024 erinnern und alles wird Geschichte. Aber was bleibt, Berlin? Es bleibt und bestätigt sich der Eindruck, dass Berlin und die Onkelz einfach extrem gut zusammenpassen. Es bleiben die Momente, irgendwo zwischen Gänsehaut, Tränen und purer Freude. Es bleibt aber auch, so ehrlich will ich sein, dieses bedrückende Gefühl in der Brust, aus den tragischen Ereignissen des zweiten Konzertabends. Wenn wir daraus etwas für uns mitnehmen können, dann ist es, dass das Leben manchmal sehr kurz und sehr ungerecht sein kann. Das Schicksal kennt keinen richtigen Moment, nicht den richtigen Ort und deshalb sollten wir uns immer wieder klar machen: Der Sinn des Lebens ist leben. Das war’s!

✏️// Marco Matthes
📸 // Christian Thiele

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