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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, wusste schon der große Hermann Hesse. Und vor jedem Glück steht der Schweiß, mag man nach dem Auftakt der Open Air Tour 2024 in der Frankfurter Jahrhunderthalle hinzufügen. Wer vorgestern dabei war und nicht mindestens mit einem breiten Grinsen eingeschlafen ist, hat die Onkelz nie geliebt, bin ich geneigt zu schreiben, aber vielleicht wäre das auch zu einfach. Doch beginnen wir von vorn. 

Vielleicht fragt ihr euch beim Lesen dieser Zeilen: Gibt es jetzt wieder zu jedem Konzert einen elend langen Konzertbericht? In einer Zeit, in der sich die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne in Sekunden an den Fingern einer Hand messen lässt, lassen wir uns diese Frage gerne gefallen. Die Antwort lautet: Ja, auch auf dieser Tour werden wir wieder jedes Konzert mit einem Konzertbericht beschließen. Vielleicht aus Nostalgie, vielleicht zur eigenen Reflexion, zum Auskehren aller gewonnenen Eindrücke und Impressionen, um am nächsten Tag wieder bereit für die nächste Show zu sein. Ihr seid herzlich eingeladen sie zu lesen, oder aber auf eines unserer Bewegtbildformate auszuweichen, sollten euch aneinander gereihte Buchstaben irritieren. 

Vorgestern, an diesem ersten Tag in Frankfurt, stand alles im Zeichen des B.O.S.C. – des Böhse Onkelz Social Clubs, der in diesem Jahr sein 30 jähriges Bestehen feiert. In einer Gesellschaft, in der sich oft jeder selbst der Nächste ist, in der von gegenseitigem Respekt geredet, aber das Gegenteil gelebt wird, ist die Arbeit dieses Vereins, mit seinen tollen, engagierten Mitgliedern, nicht hoch genug einzuschätzen. So hat der Verein diesen Tag wochenlang akribisch vorbereitet und organisiert, ist mit voller Kapelle angetreten, um euch die Möglichkeit zu geben, einen Einblick in ihre Arbeit zu bekommen und nicht zuletzt selbst Mitglied zu werden. Wer es also noch nicht geschafft hat, dem B.O.S.C. einen Besuch abzustatten, dem legen wir hiermit offiziell ans Herz, dies bei einer der nächsten Shows zu tun. Dem Verein selbst sagen wir einmal mehr: Danke für eure Arbeit und euer Engagement! 

Der Start einer Tournee ist immer etwas Besonderes, vor allem wenn es ein Heimspiel ist. Um es mit den Worten Stephans zu sagen: „Diese Stadt hat immer eine besondere Energie“. Alle Gewerke befinden sich seit Wochen in der intensiven Vorbereitungsphase und alle Räder drehen sich unermüdlich, bevor mit dem Tourstart alles ineinander greift und aus Theorie und Vision, Praxis und Gegenwart werden. So knistert es spürbar überall, als die Band am Nachmittag zum Soundcheck in der Halle eintrifft. Dieses Knistern, diese Spannung verwandelt sich in Sekundenschnelle in Konzentration, als die Onkelz die Bühne betreten. Schnell wird klar: Die Vier sind verdammt gut drauf und der Sound sitzt. Drei Punkte beim Heimspiel heute Abend sind Pflicht, schießt es mir durch den Kopf. Draußen frittiert derweil die unerbittliche Sonne bei über 30 Grad, ähnlich wie schon 2022, die Hirnrinde knusprig braun, was sich wiederum in einer eher zurückhaltenden Stimmung beim Einlass niederschlägt. Die Kräfte wollen und müssen verständlicherweise geschont werden, ehe um 20:30 Uhr das Licht in der Halle erlischt und das Intro mit „28“ für den ersten Gänsehautmoment des Abends sorgt. Es würden viele weitere folgen, das war mit Blick auf die Setlist bereits klar. Da ist sie wieder, diese Energie in der Luft, die sich über zwei Jahre wie in einem Staudamm aufgestaut hat und mit dem nun folgenden „Guten Tag, erkennt ihr mich?“ von Kevins brachialer Stimme ihren Kanal findet. 

Apropos Setlist: In gewohnter Manier, werde ich hier nicht auf alle Songs des Abends eingehen, sondern nur meine persönlichen Highlights beleuchten, was selbstredend subjektiv ist. Solltet ihr es beim Lesen dieses Berichts bis hierhin und ohne Augenzwinkern geschafft haben, schreibt uns gern in die Kommentare, bei welchen Songs ihr Gänsehaut hattet. Die Setlist jedenfalls, bietet auf dieser Open Air Tour einige Möglichkeiten dazu. Man hätte es sich auch einfach machen und auf die sichere Stimmungsbank setzen können, indem man Songs auswählt, die die Band jederzeit in der REM-Phase spielen könnte – hat man aber nicht. Stattdessen bietet die Setlist 28 Songs mit einigen raren, teilweise ungespielten Perlen, die mir beim Schreiben dieser Zeilen noch immer in den Ohren klingen. Eine dieser seltenen Perlen ist: „Ich bin wie ich bin“. Die Band hat sichtlich Spaß an der Nummer. Kevin glänzt, wie das ganze Konzert über, mit kraftvoller Stimme und viel Interaktion mit den Fans. Die wiederum quittieren jeden Ton mit frenetischem Applaus und kollektiven „Oh wie ist das schön“-Rufen. 

Bei „Zu nah an der Wahrheit“ erwische ich mich selbst dabei, wie ich jede Zeile lauthals mitsinge, als gäbe es kein Morgen, während mich kleine Flashbacks aus meiner eigenen Jugend überkommen. „Sie ist ein magisches Theater, Futter für die Seele, etwas das mich antreibt, vielleicht der Grund warum ich lebe. Gibt etwas Schöneres, als diese Lieder zu teilen, sie gemeinsam zu erleben, zusammen lachen und weinen.“ Genau so ist es. Vinny, der auch diese Tour am Keyboard begleitet, spielt dieses Stück mit so viel Inbrunst und Hingabe, dass ich ihm stundenlang dabei zuschauen könnte. Wo musikalisches Können, Bescheidenheit und ein großes Herz aufeinandertreffen, da steht Vinny und spielt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Einfach schön! Wären in diesem Moment alle Handys in den Taschen geblieben und durch Feuerzeuge ersetzt worden, wäre es wahrscheinlich mein Lied des Abends geworden. 

Bevor die Setlist dann in ein Sextett aus ungespielten Songs einbiegt, bringt ein Klassiker mit „So sind wir“ die Halle an ihre vorläufige Klimax. Wenn selbst die Sanitäter des OV Marxheim, deren Arbeit wir an dieser Stelle nicht ungewürdigt lassen wollen, kollektiv tanzen und mitsingen, muss dieser Abend wohl sehr besonders gewesen sein. Es folgen mit „Das Problem bist du“, „Gestern war heute noch morgen“, „Wir schreiben Geschichte“, „C ést la vie“, „H“ und „Angst ist nur ein Gefühl“ gleich sechs Nummern, die allesamt noch nie (!) auf einem Onkelz-Konzert gespielt wurden. Bestraft mich gerne mit Nichtwissen: Sollte die eine oder andere Nummer doch auf der Tour 1992 gespielt worden sein, korrigiere ich mich hiermit bereits gerne von „nie“ auf „selten“. Ich könnte über jeden dieser Songs mindestens eine Seite schreiben, aber das möchte ich euch zum einen ersparen und zum anderen geht schließlich nichts über das Live-Erlebnis. Allerdings darf „H“ an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Ein Song, der auf der „Hier sind die Onkelz“ 1995 erschien und 29 Jahre später seine Uraufführung feiert. Kevin, der seit nunmehr 13 Jahren drogenfrei ist und dieses Stück mit so viel Schmerz und gleichermaßen Hoffnung ins Weite rund singt, während Gonzo ihn an der Akustik-Gitarre begleitet, ist der lebende Beweis dafür, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will. Ohne jeden Zweifel ein magischer Moment an diesem Abend! 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch „Ohne mich“. Ein Stück von der 98er „Viva los Tioz“, das für „Freiheit und Unabhängigkeit“ steht, wie es Stephan in seiner Ansage treffend auf den Punkt bringt. Mit Gonzos sirenenhafter Gitarre zu Beginn und Pe’s treibenden Schlagzeugsalven avanciert das gute Stück mühelos zu meinen Top 3 des Abends. Ich könnte jetzt stundenlang so weitermachen und Song für Song sezieren, aber Frankfurt, wir müssen reden!

Auch auf dieser Tour werde ich die Länge eurer „Oooooooohs“ bei „Terpentin“ so genau messen, als wäre es eine olympische Disziplin. Gestern habt ihr genau 44,22 Sekunden geschafft, was, sagen wir mal, noch ausbaufähig ist. Ich gehe fest davon aus, dass ihr als Frankfurter den „Ooooooooh“-Wanderpokal aus Köln mit nach Hause nehmen wollt, und morgen habt ihr die erneute Chance dazu. Zur Erinnerung: Der Rekord aus 2022 liegt bei über sechs Minuten! 

Frankfurt, das war ein mehr als gelungener Auftakt zur Open Air Tour 2024! Wir sagen Danke an jeden Einzelnen von euch, dass ihr diesen Abend mit uns gemeinsam gefeiert habt. Diese Setlist, die die besten Onkelz der 90er in das Jahr 2024 transferiert, ist einer der Schlüssel für viele weitere unvergessliche Momente auf der Tour, da bin ich fest von überzeugt. 

Ich schließe diesen ersten Konzertbericht mit Stephans Worten: „Ihr seid das Herz und die Seele dieser Konzerte“. 

// Marco Matthes

Fotocredits: Christian Thiele, Tobias Stark & Mike Hoehn

10 comments

  1. Kanzler - 15. August 2024 22:09

    Toller Bericht über einen fantastischen Abend.
    In epischer Breite könnte ich ausführen, was mir alles gefallen hat, aber ich fasse mich kurz.

    Gänsehautmomente definitiv bei 28 und H, um deine Frage zu beantworten.

    Doch mich hat es schon vor dem ersten Song gekickt, und zwar bei diesem einzelnen Schlag auf die Basedrum, bevor es kurz danach mit 28 losging. Das war wie ein Zündfunke für mich, den ich aber im Grunde nicht brauchte, weil ich vorher schon heiß war auf das Konzert.

    Was für eine Setlist! Das war eine wunderbare Zeitreise für mich.

    Danke an die Onkelz, den B.O.S.C. und für die vielen schönen Begegnungen an diesem Tag.

    Für immer Onkelz

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  2. Felix - 15. August 2024 21:41

    Hey Marco,

    Ich ziehe den Hut vor diesen schönen -und ja, sehr vielen- Worten! Ich habe mir deine Zeilen stückchenweise in meinem Alltag aufgeteilt oder besser: gegönnt.

    Zum Konzert:
    Es war auf jeden Fall spürbar, dass jeder Einzelne, sei es vor, auf, hinter oder gar unter der Bühne Bock drauf hat!
    Einfach Geil! Einfach Onkelz! Einfach Familie!
    Der Weg aus der Lausitz hat sich gelohnt!
    Du hast es einfach fantastisch auf den Punkt gebracht!

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  3. Steffi - 15. August 2024 19:37

    Da hoffe ich mal, dass es nach der Tour ein Live Album gibt!

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  4. Tim - 15. August 2024 15:52

    Konzert war geil. Noch geiler wäre es, wenn man die Handyfilmerei unterbinden würde. Ich habe die Band teilweise nicht mehr gesehen, weil 20 Leute vor mir gefilmt haben.

    Mal eine Ansage von der Bühne wäre toll

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    • Dieter - 15. August 2024 19:17

      Genau meine Meinung. Die Handys nerven einfach. Da ist man schon nicht einer von den Großgewachsenen und dann hat man noch lauter Arme mit Handys vor seiner Nase.

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  5. Alina - 15. August 2024 14:29

    Hali hallo liebes Onkelz Team,
    dieser Text ist wunderschön geschrieben, man merkt wie viel Herzblut selbst bei den konzertberichten hineingesteckt wird und ich freu mich unglaublich selber teil dieses Erlebnis zu sein auch wenn ich in Frankfurt nicht dabei war bin ich sehr berührt von diesem Text und hab gedacht ich teile es euch hiermit mit Viel liebe und ganz viel Grüße

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  6. Alt - 15. August 2024 12:06

    Da freue ich mich schon auf den 21.8.24 in Berlin, ich hoffe ja zwei Titel „Ach Sie Such Streit“ und „Der Nette Mann“ andernfalls hab ich es auf DVD aber für mich ist das ein Traum das auch mal Live zu hören also auch richtig dabei zu sein, es ist schon geiler als dass nur auf den Fernseher zu sehn.

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  7. Schmitzcolonia - 15. August 2024 11:05

    Hallo zusammen,

    erstmal Danke für die Berichte!
    Ich werde mir selbstverständlich alle reinziehen:)

    Top 3 Songs : Nichts ist für die Ewigkeit: Eigentlich eine prädestinierte Stadionhymne aber die ging so steil ab als das erste Solo kam sind alle steil gegangen haben die Melodie mit gesungen und Bier flog durch die Luft.

    Ohne mich : Einfach geradeaus unmissverständlich und würden alle so denken , wäre die Welt ein besserer Ort.

    #1 „H“
    nach dem ich das Buch von Kevin gelesen habe, haut der Text zehnfach rein. Dazu der göttliche Gesang und Gonzo ganz intim neben Kevin an der Gitarre. Das war Gänsehaut pur.

    Meinen ganzen Respekt an alle die bei dieser Hitze so stark performt haben,
    es war ein unvergessliches Konzert !
    Mehr als nur warm Up!

    Bis bald :)

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  8. Uwe - 15. August 2024 10:18

    Meine Highlights dieses mal waren die ruhigeren Songs. „Zu nah an der Wahrheit“, „Bin ich nur glücklich wenn es schmerzt“ und natürlich „H“. Nicht 2,5 Stunden Extase, was bei den klimatischen Bedingungen eh in Kreislaufprobleme gemündet wäre, sondern zwischendurch einfach mal zuhören, Augen schließen und eigene Bilder vor dem geistigen Auge ablaufen lassen.
    Was ich noch erwähnenswert finde war die Disziplin, die inzwischen unter den Fans herrscht. Da wird sich entschuldigt, wenn man aus Versehen angerempelt wird oder sich bedankt, wenn man jemanden durchlässt. Das war früher wesentlich unentspannter….
    Genug geschrieben: next tour stop kommender Dienstag in der Hauptstadt.

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  9. Metzner23 - 15. August 2024 09:36

    Die wohl geilste Setlist ever! Obwohl es ja nur einen Opener gibt. Hier sind die Onkelz😂

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