Neues
Sei wachsam,
Präg‘ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein! Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam.
Diese Zeilen schrieb einst der Liedermacher, Reinhard Mey im Jahr 1996. Mit Blick auf die im Vorfeld zu lesende Berichterstattung zu unserem Auftakt der Open-Air-Konzerte auf der Bürgerweide in Bremen, fühlte ich mich immer wieder an diese Zeilen erinnert, die auch fast 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung ganz offensichtlich nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Es hat mich auch ein bisschen an die 90er Jahre erinnert, was im Vorfeld des Onkelz-Konzertes in der Bremer Lokalpresse zu lesen war. Da gäbe es viele Menschen in Bremen, die die Demokratie verteidigen wollen, während parallel ein Großereignis (das der Onkelz) stattfindet, zu dem Menschen gehen, die das wahrscheinlich anders sehen. Soso. Weniger verklausuliert und übersetzt: Demokratiefeinde. Eilends wurden Professoren befragt, ob denn die Metamorphose der Band glaubwürdig sei. Das verblüffende Ergebnis der Gelehrten: Ja. Man hätte es auch einfacher haben können, wenn man sich zum Beispiel einmal die Mühe gemacht hätte, in unserer Timeline nachzulesen. Die hat auch keine Paywall. Denn keine andere deutschsprachige Band hat sich vor allem in den 90er Jahren so oft und so vehement gegen Rechtsextremismus gestellt wie die Onkelz. Und in keiner anderen Stadt sind sie so oft zu diesem Thema aufgetreten wie in Bremen. Das alles kann man nachlesen – wenn man will. Stattdessen wird immer noch gerne das Narrativ der ewig Gestrigen, ja der Unbelehrbaren bedient, weil es gefahrlos als herrschende journalistische Meinung gilt und am Ende auch einfach mehr Klicks bringt. Das ganze Thema juckt hier schon lange niemanden mehr, es macht nur noch müde. Nur so viel: Onkelz-Konzerte sind ein Spiegel der Gesellschaft. Sie sind gelebter Pluralismus, weil hier jeder willkommen ist, der sich auf dem Boden unserer Demokratie bewegt. Wir stecken keine Menschen in Schubladen, instrumentalisieren sie, oder maßen uns an, über sie zu richten. Extremismus, egal ob von links oder rechts, hat bei uns keinen Platz! Vielleicht sind gerade eben jene Politiker, die die Fahne der Demokratie immer wieder medienwirksam zu verteidigen scheinen, am Ende diejenigen, die sie durch Stigmatisierung und gesellschaftliche Spaltung am meisten gefährden. Das soll es zu diesem Thema aber auch gewesen sein.
Bremen empfing uns am Tag vor der Show mit norddeutschem Hochsommer: 18 Grad und Dauerregen. Wir hatten gerade die über 50 Grad in der Jahrhunderthalle verarbeitet, da brachte uns Bremen temperaturmäßig wieder ins Gleichgewicht. So nutzten wir den freien Tag, um die Innenstadt zu erkunden und waren uns am Ende einig, dass Bremen eine absolut schöne und sehenswerte Stadt ist. Sehenswert war auch, was sich parallel auf der Bürgerweide abspielte. Immer wieder blieben Passanten stehen, um das Einmessen und Kalibrieren von Licht und Ton zu beobachten. Bis spät in die Nacht erhellten die Lichter der Bühne den Abendhimmel und ließen keinen Zweifel daran, dass hier etwas Großes vorbereitet wurde.
Erstmals bei der Open Air Tour dabei waren die fünf walisischen Jungs von „Those Damn Crows“. Musikalisch im melodischen Hardrock unterwegs, heizte die Truppe der Bremer Bürgerweide von Beginn an ein und legte den Grundstein für das, was noch folgen sollte.
Pünktlich um 20:30 Uhr, mit den ersten Klängen von „28“, verwandelte sich das Feld in ein Meer aus Händen. Das Intro und der anschließende Song „Guten Tag“ bilden einfach eine perfekte Symbiose, die bei den Open Air Shows zusätzlich durch Pyrotechnik flankiert wird. Bremen und die Onkelz – das passte von Beginn an zueinander. Immer wieder Klatschen, immer wieder „Oh, wie ist das schön“ Gesänge. Stephan begrüßt das weite Rund mit den passenden Worten: „Ihr seid also alles die Rechten“, was Bremen wiederum mit gut hörbaren „Nazis raus“ Chören quittiert. Licht und Ton sind von Beginn an für jeden audio-visuellen Fan ein wahrhaftiger Hochgenuss, was angesichts der baulichen Bedingungen sicher kein Selbstläufer war.
Während auf der Bühne „Finde die Wahrheit“ gespielt wurde, ging ich nach draußen und blieb mit einem Lächeln direkt hinter dem Zaun stehen: Draußen standen, so weit mein Auge reichte, mehrere hundert Menschen aller Nationalitäten und jeden Alters, die tanzten, mitsangen oder einfach nur das Spektakel beobachteten. Ich sehe einen Typen, der zu „Gehasst, verdammt, vergöttert“ karate-ähnliche Bewegungen tanzt, Feuerwehrmänner, die auf den Dächern ihrer Fahrzeuge das Spektakel verfolgen und ältere Menschen, die in Campingstühlen bei einem guten Glas Wein und ein bisschen Onkelz den Abend auf der Bürgerweide ausklingen lassen. Dahinter geht gerade die Sonne über Bremen unter. So schön kann ein Onkelz-Konzert sein! Es sind Bilder wie auf einem Volksfest und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass an diesem Abend halb Bremen auf den Beinen ist, um sich selbst ein Bild von dem zu machen, was medial bekanntermaßen überwiegend eindimensional und furchterregend angekündigt wurde.
Als ich zurückkomme, bereitet mir „Zu nah an der Wahrheit“ die erste Gänsehaut des Abends. Es ist ein Stück, von dem ich einfach nicht genug bekommen kann. Wie an den Abenden zuvor singe ich jede Zeile lauthals mit und hoffe, peinlich berührt von mir selbst, dass mich niemand dabei gehört hat. Ich schaue in die Gesichter der Fans um mich herum und sehe so viele Emotionen, so viel Gefühl und manchmal auch Schmerz. Jeder hat seine eigene Geschichte mit dieser Band und damit auch seine ganz persönlichen Assoziationen zu ihrer Musik. „Diese Band hat etwas Magisches“ – und genau diese Magie ist hier für mich spürbar. Immer und immer wieder.
Bei den folgenden Stücken „So sind wir“ und „Stunde des Siegers“ bricht dann alle nordisch-noble Zurückhaltung endgültig in pure Ekstase auf. Immer wieder seid ihr als Chor lauter zu hören als die Band selbst und spätestens an dieser Stelle öffneten sich die Fenster am angrenzenden Hotel und Leute bestaunten die Szenerie, die sich ihnen bot, bei einem kühlen Getränk. Das war auch nötig, da mit „Gestern war heute noch Morgen“, „Zieh mit den Wölfen“ und „Wir schreiben Geschichte“ kaum Zeit zum durchatmen blieb. Mit dem darauffolgenden Song „Ohne mich“ folgte der wohl wichtigste und passendste Song des Abends zur bereits angesprochenen Berichterstattung im Vorfeld des Konzerts. Stephan bringt es auf den Punkt: „Dieser Song ist ein Lied für eure Freiheit und eine klare Absage an jeden Extremismus, egal ob von links oder von rechts“. Dem kann und will ich nichts hinzufügen.
Erwähnen möchte ich noch „Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt“. Zusammen mit „C ést la vie“ vielleicht die kurze Asystolie in der Setlist, aber für mich einfach nicht wegzudenken. Die Nummer ist live einfach so unfassbar atmosphärisch. Sie umhüllt dich mit jedem Ton mit Schwermut und Hoffnung gleichermaßen. Neben mir steht ein Pärchen, dass sich so fest hält, als würde gleich der Boden unter ihren Füßen aufbrechen, sie hat Tränen in den Augen. Zwei Reihen weiter steht ein Mann, an die zwei Meter groß, wahrscheinlich vom Beruf Wrestler und heult wie ein Schlosshund. Das sind die Onkelz: Eine Reise durch den Wahnsinn, durch Licht und Dunkelheit, denke ich im Stillen.
Mit „H“ kulminiert schließlich all der angestaute Schmerz und jede Emotion. Drei Minuten pure Gänsehaut. Muss man live erlebt haben – kann man nicht beschreiben.
Bei „Nichts ist für die Ewigkeit“ bricht die Melancholie dann wieder auf und verwandelt sich in Sekundenschnelle in ein tanzendes Meer aus Händen und den lautesten Chor der Welt. Es ist ein Auf und Ab, eine Reise zu sich selbst, gespielt in 28 Stücken. Die „Ohhhs“ von „Terpentin“ schaffen es in Bremen auf stabile, wenn auch nicht rekordverdächtige 1:53 Minuten. Bremen, damit gewinnt ihr zwar nicht den Wanderpokal der Tour, aber mindestens unsere Herzen.
Den krönenden Abschluss bildet auch heute Abend wieder das Duett aus „Mexico“ und „Erinnerungen“. „Mexico“ begleitet von einem beeindruckenden Feuerwerk über der Bürgerweide beschließt einen Abend, wie er schöner nicht hätte sein können. Unnötig zu erwähnen, dass es seitens der Polizei und der Rettungskräfte zu keinen nennenswerten Zwischenfällen kam und sich alle Einsätze im normalen Rahmen einer solchen Großveranstaltung bewegten.
Danke, Bremen! Wir kommen gerne wieder.
// Marco Matthes
Fotocredits: Christian Thiele