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Als um kurz nach 23:00 Uhr die letzten Töne von “Viva los Tioz” durch die ZAG Arena in Hannover erklungen sind, schaue ich noch einmal ins weite Rund dieser schönen, kompakten Halle und in die Gesichter der Menschen vor der Bühne und auf den Rängen, mit denen ich die vergangenen mehr als zwei Stunden dieses ersten Tages in Hannover gemeinsam erleben durfte. Es sind zufriedene, glückliche und selige Gesichter, in die ich schaue. Gesichter, die dankbar sind, die Onkelz nach so langer Zeit wieder live erlebt zu haben. Auf der Bühne steht derweil Kevin, seines Zeichens die Stimme aus der Gosse, mit einer weißen Feinripp Unterhose auf dem Kopf. Was es damit auf sich hat und warum dies zum Sinnbild dieses mehr als fantastischen ersten Konzertabends in Hannover wurde, erzähle ich euch in diesem Konzertbericht.
Nach zwei freien Tagen in Berlin waren wir im Vorfeld schon sehr gespannt und voller Vorfreude auf die beiden Shows in Hannover. Hannover ist auch so eine Stadt, die in der Vergangenheit immer gut zu den Onkelz war. Erinnern wir uns nur mal an die Shows in der Live Music Hall in den Neunzigern, oder das legendäre Konzert 2003 im Capitol, das dem ein oder anderen, der damals live dabei war, sicher bis heute noch in bester Erinnerung ist. Nicht zu vergessen natürlich die Show im Vorprogramm der “Rolling Stones” am 8. August 2003, die aus den verschiedensten Perspektiven zu den umstrittensten und gleichermaßen geschichtsträchtigsten Shows in der Onkelz-Historie zählt. In Hannover wurde demnach in vielerlei Hinsicht Onkelz-Geschichte geschrieben.
Wir kommen gegen Mittag an der ZAG Arena an, die einige aus vergangenen Tourneen wahrscheinlich besser als die TUI Arena kennen. Die Halle bietet etwa 14.000 Steh- und Sitzplätze bis unters Dach und blickt auf eine über 22-jährige Historie von Veranstaltungen jeder Art zurück. An und auf der Bühne laufen derweil die letzten Vorkehrungen für die Show und hinter der Bühne pulsiert das Tourleben. Die Catering-Crew serviert beispielsweise jeden Tag über 600 Mahlzeiten! Direkt daneben befindet sich der Laundry-Service. Hier kann jedes Crew-Mitglied seine Sachen zur Wäsche anmelden und abgeben. Die Schmutzwäsche wird dann gewaschen, getrocknet und anschließend fein säuberlich zusammengelegt und gut riechend dem Besitzer zurückgegeben. Auf Tour ein extrem wichtiger Service. Dort werden jeden Tag im Schnitt übrigens 35 Waschladungen à 5 kg gewaschen, was wiederum 175 kg Wäsche pro Showtag bedeutet. Rechnen wir das auf die Tour hoch, macht das insgesamt mehr als 3.000 kg Wäsche pro Tour! Das entspricht fast dem Dreifachen eines 4-Familien-Haushalts pro Jahr. Wenn Stephan Abend für Abend vor “Nichts ist für die Ewigkeit” der gesamten Crew dankt, dann sind es genau diese Gewerke, die er intendiert. All jene, die ihr als Fans nicht seht, die oft nicht einmal die Zeit finden, um die Show zu genießen und deshalb auch hier immer und immer wieder genannt und denen gedankt werden soll. Danke, dass ihr diese Tour mit so viel Leidenschaft und Einsatz unterstützt!
Was mir dann heute beim Einlass ganz besonders auffällt, ist die sehr gute Organisation der örtlichen Secus. Hier sitzt jeder Handgriff, jeder kennt seinen Platz und seine Aufgabe. Das haben wir auf der Tour auch schon ganz anders erlebt. Diese sehr gute Organisation führt dazu, dass der Einlass heute schon vor 17:30 Uhr stattfinden kann und schnell fluten die Zugänge und die erste Reihe mit Fans. Ich entdecke im allgemeinen Einlassgewusel einen Familienvater mit seinem Sohn, der heute sein ersten Onkelzkonzert erleben wird. Also der Sohn, nicht der Familienvater. Mittlerweile sehen wir auf allen Shows der Tournee verschiedene Generationen an Onkelzfans und es immer wieder aufs Neue schön zu sehen, dass so die Onkelz und deren Erbe in euch, in euren Kindern und hoffentlich auch irgendwann in deren Kindern weiterleben wird. Die Freude in den Augen beider, als ich ihnen jeweils eine Autogrammkarte überreiche, ist das, was mir ganz persönlich von dieser Tour am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben wird. Es sind diese Momente voller bedingungsloser Dankbarkeit, ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch an die kürzliche Begegnung mit dem schwer an ALS-erkrankten Steve in Berlin, die die Arbeit auf der Tour so besonders macht und die noch weit über die Tour nachhallen werden.
Es ist 20:40 Uhr, als die Lichter in der ZAG-Arena erlöschen. Aus allen Richtungen singen tausende Kehlen schon jetzt im Chor “Oh, wie ist das schön”. Die Uhr springt auf 20:41 Uhr, das Intro startet. Ich stehe heute ganz vorn im Graben und habe so die Möglichkeit, die Emotionen der Fans in den ersten Reihen mit Showstart hautnah mitzuerleben und zu inhalieren. Ich sehe in so viele glückliche Augen, als Kevin das erste “Jaaaaaaa” des Abends in das weite Rund schickt. Direkt vor mir stehen drei Freunde, die offenbar heute ihr erstes Onkelzkonzert erleben und die vom Start weg, jedes Wort lauthals mitsingen und sich immer wieder in den Armen liegen. Es fühlt sich an, als würde Weihnachten und Geburtstag auf einen Tag fallen, und dieser ist heute Abend.
Wir haben gemeinsam so lange auf diese Momente warten müssen. Wir haben in den letzten Jahren so viel entbehrt. Wir haben versucht, den Kopf über Wasser und unsere Familien zusammenzuhalten. Wenn die Angst, der Druck und der Stress zu groß wurden, haben wir abends still und leise in uns hinein geweint und darauf gehofft, dass diese schweren Zeiten irgendwann vorübergehen. Haben uns immer wieder selbst daran erinnert, dass es schon wieder besser werden würde. Wir hatten kein Ventil für unsere Wut, für unsere Ängste und für unsere Sorgen. Soziale Isolation macht krank und einsam. Jetzt stehen wir hier, liegen uns in den Armen und können endlich wieder das sein, was wir sind: Menschen. Menschen aus verschiedenen Herkünften, Menschen mit unterschiedlichsten Berufen, Leidenschaften und sozialen Schichten. Menschen, wie du und ich, alle vereint unter dem Dach der Onkelz. Ich finde gar keine Worte dafür, was uns das bedeutet, diese Tour mit euch gemeinsam zu erleben.
Die Band ist auch heute Abend abermals sofort präsent und mit großer Spiellaune ausgestattet. Dabei war der Abend, gerade für Stephan und allen, die es mit der Eintracht halten, nicht ganz optimal gestartet. Am Ende hieß es 0:egal für Sporting Lissabon in der Champions League. Backstage tröstete Kevin anschließend Stephan mit einer Umarmung und meinte: “Scheiß drauf, wir gehen heute in Hannover als Sieger vom Platz. Wir gewinnen auf jeden Fall!”. Recht sollte er behalten! Ohnehin gefiel mit Kevin heute Abend ganz besonders gut. Immer und immer wieder heizte er die Menge ein, wie es eben nur ein echter Russell kann und tut. Es ist einfach immer wieder schön zu sehen, wie sich die Stimmung der Band auf euch überträgt und Hannover ist vom ersten bis zum letzten Song an diesem ersten Abend da und feiert ein rauschendes Fest.
Spätestens bei “Gehasst, verdammt, vergöttert” war dann allen Anwesenden klar, dass diese erste Show in Hannover eine sehr besondere werden würde. Immer wieder laute Chöre, singende und tanzende Fans, so weit das Auge reicht und eine Band, die ein nahezu perfektes Onkelz-Konzert abliefert.
Bei “Leere Worte” ist der Gesang der Fans im Refrain wieder lauter, als die PA. Dieses Stück ist einfach von vorn bis hinten eine perfekte Live-Symbiose aus den Gesängen der Fans, aus dem Licht, den Visuals, der Stage-Kinetik und natürlich dem Song selbst.
Ein ähnliches, wenn auch etwas bedrückendes Highlight ist auch an diesem Abend wieder “Ein Hoch auf die Toten”. Dieser Song ist im Refrain so hymnenhaft und so tragend, dass ich jeden Abend aufs Neue die Gänsehaut meines Lebens bekomme. Als sich die letzte Note wie Blei auf die Seele gelegt hat und in der Kehle eine Mischung aus Bitterkeit der Trauer und Süße der Hoffnung hinterlässt, wischen sich unzählige Menschen, die um mich herum stehen, die Tränen aus den Augen. Jeder, mit seiner eigenen Geschichte und seiner ganz eigenen Assoziation zu diesem Lied.
Erwähnen möchte und muss ich auch an diesem Abend wieder “Schöne neue Welt”. Ich habe schon des Öfteren geschrieben, dass dieser Song einfach zu meiner persönlichen Top 5 der Tour gehört und auch heute geht es mir wieder um die Botschaft, die Stephan richtiger und wichtiger Weise auch in Hannover setzt: “Krieg ist keine Lösung und Frieden keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen etwas dafür tun!”. Damit ist alles gesagt.
Mit “Terpentin” folgt dann eine Nummer, auf die sich die Band jeden Abend ganz besonders freut. Einfach, weil der Song immer ein Stimmungsgarant ist. Immer! Auch in Hannover platzt der Knoten und alle Dämme brechen. Es folgt das obligatorische „Ooooooh, Ooooooh, Ooooooh” am Ende. Ich stoppe den Chor seit Oberhausen minutiös und im Stile eines Notars für das Guinness-Tourbuch der “Oooooh”-Rekorde. In Hannover sind es heute Abend 1:06 Minuten. Spitzenreiter und die Tour-Tabelle anführend ist übrigens aktuell noch Berlin Tag II mit 1:31 Minuten. Gestartet wird die amtliche Zählweise übrigens ab dem letzten Ton, bis zur darauffolgenden Ansage. Ich bin gespannt, welche Stadt den Tour-Sieg nach Hause tragen wird.
Lasst uns noch über “Flügel für dich” sprechen. Stephan sagt, das Stück würde jeden Abend ein wenig wachsen und sich in die Herzen der Fans graben. Und in der Tat ist die Nummer im Moment noch total unterschätzt. Zum einen hat der Song eine sehr wichtige Botschaft, die sich im Wesentlichen auf “Will keine Burgen, sondern Brücken bauen” runterbrechen lässt. Zum anderen ist der Refrain so eingängig und so wichtig, die Visuals aus dem Hause “Blitzen” und das Licht so schön, dass man die Nummer einfach live lieben muss. Musikalisch finde ich zudem die Gesangsdopplungen im Refrain von Stephan besonders schön. Ich bin sicher, “Flügel für dich” wird sich im Verlauf der Tour noch weiter in eure Herzen spielen.
Den krönenden Abschluss einer wunderbaren Show an diesem ersten Tag in Hannover bildet dann der Zugabenblock. Bei “Heilige Lieder”, der so brachial beginnt, kam die gesamte Band dann nochmal auf Hochtouren und Gonzo spielte sein Solo wieder rennend aus dem Graben heraus. Ich habe keine Ahnung, wie er das macht. Rennen, spielen, sich orientieren, dann noch abklatschen. Fehlt nur noch, dass er während des Solos Autogramme verteilt. Schöne Bilder, die da auf den Leinwänden erscheinen. Von strahlenden Gesichtern, die so die Möglichkeit haben, dem Gonz mal ganz nah zu sein.
Ganz besonders “Mexico” zählt heute abermals zu den Highlights. Die Visuals, das Licht und dann der Pogo-Gulasch an der Stelle zum Tanzen, sind Augenblicke, an denen sich niemand satt sehen kann. Auch dieses Mal verwandelt sich der gesamte Innenraum wieder in eine tanzende, sich in den Armen liegende Meute. Der absolute Wahnsinn!
Mit “Nichts ist für die Ewigkeit” und “Viva los Tioz” beschließen wir gemeinsam diesen Abend und endlich hat jemand Erbarmen und wirft seine Feinripp Unterwäsche auf die Bühne. In Berlin hatte Stephan angemerkt, dass die Band seit 42 Jahren darauf warte, dass man ihr endlich auch mal Männerunterhosen auf die Bühne werfe. Was natürlich als Scherz gemeint war, fand dankbare Fans, die diesen Wunsch zu erfüllen vermochten. So kam es dazu, dass am Ende diese weiße Unterhose (hoffentlich ungetragen) auf der Bühne lag, die sich Kevin sodann natürlich lachend über den Kopf stülpte.
Mit diesen Bildern im Kopf verabschieden wir uns in die Nacht. Danke Hannover, das war heute Abend wirklich grandios und hat uns viel Spaß gemacht!
Wir freuen uns auf Tag II mit euch!
Text // Marco Matthes
Foto // Christian Thiele
Illustration // Lennart Menkhaus