Timeline

zurück

Den vierten und größten Gig vor einer Skinheadgemeinde spielen die Onkelz zusammen mit der englischen Band „Indecent Exposure“ und den deutschen „Die Hards“ sowie „Kalhkopf“ im August ’85 in der Nähe von Lübeck. Groß-Parin in Ostholstein ist folgerichtig im ausgehenden Sommer das Ziel für etwa 600 Glatzen, die ein Open-Air dort besuchen wollen.

Zuvor hatte die Stadt Lübeck das Konzert aus Angst vor Ausschreitungen verlegt. Auf einer winzigen Bühne (der Ladefläche eines LKW) spielen die Onkelz also ihre zweite Show nach ´83 in Berlin. Dass sie eine angesagt Skinhead-Band waren, hatte sich inzwischen rumgesprochen. Nachdem „Der nette Mann“ eine feste Größe im Plattenregal eines jeden Skinheads war und der Nachfolger „Böse Menschen – Böse Lieder“ im Mai erschienen ist, sind die Erwartungen der Anwesenden entsprechend hoch.

Bevor es für die Onkelz los geht, spielen neben „Kahlkopf“ auch „Die Hards“, die allenfalls als Schülerband taugen. Das Line-Up wird von der englischen Working-Class-Skin-Konbo „Indecent Exposure“ komplettiert.

Gonzo ist schon damals ein Virtuose an der Gitarre. Er spielt die pentatonischen Skalen rauf und runter und gibt den Onkelz einen musikalischen Wiedererkennungswert und das Alleinstellungsmerkmal unter den wenigen deutschen Skinhead-Bands. Stephan bringt zum Ausdruck, für was diese Band steht. Er hat das unersetzbare Talent, ihre Gefühle und Erlebnisse in Worte zu verpacken, die jeder verstehen und nachempfinden kann. Kevin ist die Kraft. Seine Stimme sticht hervor und brennt sich ein. Er ist das, was er singt und was er singt, ist das, was er ist. Pe ist der Dirigent und gibt den Takt vor. Schorowsky ist in all den blutigen Anfangsjahren der Onkelz die unersetzbare Stütze der Band. Frei von Aggression. Nie beteiligt er sich an Schlägereien. Wie ein Uhrwerk funktionieren die Onkelz nur gemeinsam.

Der Abend in Groß-Parin verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle bei den anwesenden Glatzen. Bei der Band kommt es zu einer nennenswerten Besonderheit: Vor den rund 600 Glatzen, Skin-Girls und einigen Hooligans, von denen man einige ganz klar dem rechten Lager zuordnen muss, lässt sich Kevin zu einer Dummheit hinreißen. Obwohl die Band den Aufforderungen „Türken raus“ oder „Deutschland den Deutschen“ vom Demotape zu spielen, nicht nachkommt, trägt sie dennoch den Song „Deutschland“ vom ersten Album vor. Die originale Textzeile „deutsche Frauen, deutsches Bier – schwarz rot gold wir steh’n zu Dir“ wird während des Gigs von Kevin auf eigene Faust umgestaltet und er singt nun „deutsche Frauen, deutsches Bier – schwarz weiß rot wir steh’n zu Dir“. Das erste, nicht das letzte Mal, dass Kevin diesen Schwachsinn verzapft. Er bekommt hinterher von Stephan eine schwere Ansage zu hören. Ob er noch alle Tassen im Schrank habe, ob er sich überhaupt bewusst sei, dass er damit den Rechten in die Karten spielt. Kevin mimt den Verständnisvollen und Einsichtigen, verzapft den gleichen Mist aber ein Jahr später in Rüsselsheim erneut. Es kommt zu Spannungen innerhalb der Band, die – da ist man sich einig – Kevin nicht weiter in die Faschoszene vordringen lassen will. Das Maß der Unüberlegtheiten, die sich Russell (der zu der Zeit als ausländerfeindliche, latent nationalistische Aggro-Glatze unterwegs war) geleistet hatte, ist voll.

Als ob das nicht genug ist, wird das Open-Air hinterher auch noch zu allem Überfluss von einigen Nazipartei-Aktivisten kurzerhand zum „Rock-gegen-Links“ bzw „Rock against Communism“ deklariert.

Nach dem Festival erntet die Band bei angesagten Skinhead-Fanzines, die vorher Pro-Onkelz waren, im Anschluss an das Konzert kritische Beiträge und wird als „uncool“ bezeichnet. Die vorher überschwänglich-positiven Berichte der Skinhead-Szene über die Onkelz machen eine 180-Grad Drehung. Die durch die Onkelz mit aufgebaute Szene beginnt ihr Aushängeschild zu meutern. Den Onkelz ist dieser Trend scheißegal. Sie sind es gewohnt mit Unwahrheiten und Ignoranz umzugehen. Die Verbindung zwischen Gonzo, Stephan und Pe wurde nur stärker – und Kevin würden sie mitnehmen.

Um euch einen rohen, unverfälschten Überblick zu verschaffen, wie es damals war, laden wir euch das Zeitdokument – Deutschland, live in Lübeck 1985 – hier hoch:

 

Boese_Onkelz_j Boese_Onkelz_k

Ein bisschen später wird’s krass. Die Onkelz spielen zum letzten mal vor einem reinen Glatzenpublikum, das inzwischen in seiner Gesamtheit aus Faschoglatzen besteht.

Die Berliner Szene ist 85 bekannt für ihre starke rechtsradikale Bewegung. Zum „Kamaradschaftsabend“ in Berlin-Wedding hatte man 9. November ´85 in den Proberaum der Band „Kraft durch Froide“ geladen. Etwa 200 Glatzen folgen dieser Einladung und begrüßen die Band mit Hitlergrüßen und „Onkelz“, „Onkelz“-Rufen. Stand beim erste Bunker-Gig ´83 noch der Spaß im Vordergrund, ist dieses Konzert von Nazis geprägt. Zunächst ausgeladen und dann wieder eingeladen, sind die Onkelz ohnehin nur Lückenfüller, weil eine andere Skinband abgesagt hatte.

In der Szene sind die Böhsen Onkelz ohnehin mittlerweile nicht mehr angesagt. Im Gegenteil, sie gelten als Verräter und als nicht rechts genug. Außer Kevin trägt schon lange niemand mehr eine Glatze. Die anwesenden rechtsradikalen Skinheads brüllen immer wieder und immer lauter „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Gonzo und Pe spielen das Set runter und in Stephan brodelt es.

Retrospektiv betrachtet, hatte dieser Abend zwei Ergebnisse: Zum einen verpasst die Band die Gelegenheit, ein klares Statement gegen Rechtsradikalismus zu setzen, indem sie das Konzert einfach nicht gespielt hätten. Man muss den Onkelz den Vorwurf machen, dass sie diesen Gig nicht sofort abgebrochen haben. Auch wenn die Band am Aufbau dieser Szene mit beteiligt war und sich anfangs noch nicht im Klaren darüber war, in welche Richtung ihre Szene marschiert, so muss sie es sich gefallen lassen, in dieser Phase als ausländerfeindliche rechte Band bezeichnet zu werden. Selbst wenn die politische Ausrichtung der Band nicht als rechtsradikal bezeichnet werden kann, und sie sich selbst auch zu dieser Phase nicht als rechtsradikal empfindet, spricht ihr Publikum doch eine deutliche Sprache. Das allerdings fällt nach dem Gig in Berlin auch den Böhsen Onkelz auf und wo Kevin sich noch heimisch in der Szene fühlt, wird es den anderen Musikern zu eng. Nach diesem Konzert ist man sich einig. Die Böhsen Onkelz wollen keine Kultband der Skinheads mehr sein und ihren Sänger Kevin werden sie schnell überzeugen können.

Zum anderen wird nun endgültig für jeden innerhalb der Band offensichtlich, dass die Szene sich selbst von innen auffrisst und zum Auffangbecken des Rechtsradikalismus mutiert. Die Werte, für die die Working-Class-Bewegung einmal stand, werden durch Hass auf Minderheiten ersetzt. Das Feld der Rebellion gegen das Establishment, ist den Braunen ewig gestrigen kampflos überlassen worden.

1021502594307