Neues

„Es waren wahnsinnig schöne Abende mit euch. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!“ Stephan Weidner, Juli 2003.

Dass das baldige Wiedersehen etwa so lange auf sich warten lassen würde, wie eine durchschnittliche lebenslange Freiheitsstrafe in Deutschland dauert, war sicher nicht geplant. Umso ungeduldiger müssen Fans und Band gewesen sein, als es dann endlich mit immer größeren Schritten in Richtung Loreley ging. Du schöne, mystische Loreley. Zauber, Mystik, Esoterik, Schönheit liegen in der Luft. Und so viele Mythen und Sagen, die der Wind wispert. So wie diese:

Oft aber, wenn die Abendsonne die Landschaft vergoldete wie an jenem Tag, als sie den geliebten Königssohn zum erstemal beim Baden gesehen hatte, steigt sie auf den steilen Felsen um Ausschau nach ihm zu halten. Dort kämmt sie mit einem goldenen Kamm ihr langes Haar, das im Schein des Abendlichtes wie echtes Gold schimmert. Dabei singt sie in ihrem Liebesschmerz eine gar wundesame süße Melodie, die weit über das Land klingt.

Lässt man all diese wunderbare Folklore beiseite, so bleibt immer noch ein in Deutschland einzigartiger Konzertort. Atmosphärisch – vor allem bei schönem Wetter – nicht zu überbieten, wenn kurz vor 21 Uhr die Sonne langsam untergeht und man in luftiger Höhe eine leise Ahnung davon bekommt, warum diese Felswand in dieser Natur und Umgebung eine solche Ausstrahlung auf so viele Menschen hat. 

Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Onkelz-Fans schon am Tag der Bekanntgabe der Open Airs 2024 insbesondere bei der Loreley einen Dopamin-Kick der Extraklasse bekommen haben. Manch einer wird sogar zweimal hingeschaut haben. „Was, die machen das wirklich? Scheiße, geil, da brauch ich Karten“, dürfte nicht nur bei wenigen die Reaktion gewesen sein, denn schließlich haben wir alle, die damals im heißen Juli 2003 dabei waren, die beiden Konzerte noch in bester Erinnerung. Und was vielleicht auch ein wenig Druck auf Publikums- und Bandseite erzeugen konnte – immerhin war das damals schon sehr legendär – wurde kurzerhand in eine kaum zu bändigende Vorfreude verwandelt, deren endloses Warten dann am Montag, Dienstag und Mittwoch aufgelöst wurde. Und wie!

Schon am ersten Konzerttag ist es heiß (was sich auch in den nächsten beiden Tagen nicht ändern wird) und das gesamte Gelände wirkt bei über 30 Grad wie ein perfekter Festivalspielplatz (inklusive Sommerrodelbahn). Die B.O.S.C.-Crew ist engagiert wie immer und ich nutze wieder die Gelegenheit, mich mit den mir bisher unbekannten lokalen Helferinnen und Helfern des Vereins zu unterhalten. Ich will nicht zu redundant sein und wieder schreiben, wie viel Respekt ich vor dieser Leidenschaft habe, die diese Menschen dort Tag für Tag an den Tag legen, aber es ist einfach so. Ihr belohnt es mit vielen Neuanmeldungen, Spenden, Erinnerungsfotos im Doppeldecker, guter Laune und guten Gesprächen. Ich spreche mit Chris, einem der Busfahrer des schwarzen B.O.S.C.-Monsters, und der Mann ist euphorisch – trotz einer schmerzhaften Fußverletzung. „Für mich“, sagt er, „ist das ganz klar. Wenn mich Woody anruft und fragt, ob ich in den Wochen X bis Y schon was vorhabe, dann ist meine Antwort immer die gleiche: Ja, den B.O.S.C.-Bus fahren!“ Ein Beispiel von vielen. Die Band honoriert das auf jeden Fall und ihr könnt euch sicher sein: Stephan, Pe, Gonzo und Kevin wissen genau, was sie an euch haben!

Bei meinen täglichen Rundgängen durch diese wunderschöne Location wird immer deutlicher, was Stephan in seinen Ansagen würdigt: Onkelz-Shows sind im besten Sinne des Wortes ein riesiger Zirkus. Es ist ein buntes Geflecht von Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und vor allem Altersstrukturen. Unsere Gemeinsamkeiten sind unsere Unterschiede, und weil ich das wirklich glaube, hier ein paar Worte zu einem Thema, das ich immer wieder lese und auch wieder auf der Loreley von einigen selbsternannten „Premium-Fans“ gehört habe: 

Leute, es gibt keine „alten“ und „neuen“ Onkelz-Fans. Wir sind stolz auf die ganz jungen, die jüngeren, die älteren und die ganz alten Fans. Als ich vor 21 Jahren meine Loreley-Show gesehen habe, war ich mit 21 Jahren wahrscheinlich ein ganzes Stück jünger als der Durchschnitt dort, und ich habe mich keine Sekunde ausgeschlossen gefühlt. So muss es sein. Und auch wenn die ganz frische Garde nicht alle alten, selten live gespielten Songs auswendig kennt und diese Shows ihre ersten waren, so verbreiten sie doch eine so positive Stimmung, dass diese Diskussion eigentlich nur eine Randnotiz ist. Freundinnen und Freunde, willkommen in der Familie!

Kommen wir nun zum Showteil, denn der ist auch diesmal mehr als beleuchtenswert. Wie immer ein paar ausgewählte Highlights:

„Gehasst, verdammt, vergöttert“ ist eine rundum perfekte Onkelz-Live-Nummer. Von der Ansage, die die Essenz auf den Punkt bringt, bis zur Energie, die freigesetzt wird, sobald es losgeht, ist es spätestens der Song, bei dem der Funke überspringt. Und ich meine, Pe (der wieder einmal an allen drei Tagen eine bärenstarke Performance ablieferte) baut neuerdings in die kurzen Lücken vor dem Refrain einen Fill ein, der vorher nicht da war – aber genau dorthin gehört. Vor „Du kannst alles haben“ macht Stephan noch einmal klar, warum er den Namen „Loreley“ so schön findet, und ich muss (nicht zum ersten Mal) über den Gag lachen, so süffisant wie Stephan ihn ausspricht. Übrigens: „Du kannst …“ ist auch so ein geiles Ding. „Ich glaub, du liebst mich nicht – ich glaub, du liebst mich nicht. Ich glaub, du liebst mich nicht – ICH …“ Ergänzt das gerne laut in Gedanken. Gänsehaut.

„Danke für nichts“ ist und bleibt auch nach fast 30 Jahren ein Brett vor dem Herrn und ein absolut perfekter Garant für eine gut gefüllte Pogo-Gulaschkanone. Immer wieder sind „Oh, wie ist das schön“-Sprechchöre zu hören und immer wieder staune ich am Rand über die Akustik, die sich in diesem Amphitheater so richtig ausbreiten kann und jedes „Onkelz! Onkelz!“ bis in den letzten Winkel trägt. Logisch, dass Stephan die 12.500 Menschen zwischen den Ansagen immer wieder singen lässt. „Ihr feiert euch. Gut so, wir feiern euch auch!“ Recht hat er.

Bei „Zu nah an der Wahrheit“ und vor allem bei „Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt“ sind tausende Handys in der Luft. Aber nicht, um sich selbst beim Feiern zu filmen, sondern um das klassische Feuerzeuglicht zu ersetzen. Der einzig sinnvolle Einsatz eines Smartphones während einer Rockshow.

„Gestern war heute noch morgen“ ist eines meiner Highlights. Nicht nur, weil ich den Song und den Text so mag, sondern auch, weil es euch anscheinend genauso geht. Von den vielen Songs, die selten bis nie live gespielt werden, gehört dieser (neben „Zieh mit den Wölfen“ und – natürlich – „H“) zu den am besten funktionierenden der Tour. Immer wieder eine Freude, Euch so laut singen zu hören. Hervorragend auch das Röhr-Gespann bei „Gestern war…“. Vincent, und das kann man nicht genug loben, spielt so sicher, dass es eine Freude ist und Gonzo… Meine Finger, aber das habe ich ja schon oft geschrieben, hätten sich spätestens nach dem dritten Lied verknotet. Kevin singt und singt und die Stimme hält. Stephan und Gonzo lachen um die Wette und klatschen noch öfter miteinander ab als sonst. Stephans „Anscheinend hat Kevin sieben Leben wie ne Katze, aber jetzt reicht’s auch mal“ bringt nach „H“ alle zum Schmunzeln und dann geht es Abend für Abend ins letzte Drittel der Shows. 

Was mich dazu bringt, noch einen kurzen Absatz einzufügen, der mir wichtig ist: 99% aller anwesenden Feierwütigen waren supercool, aber warum einige Fans es nicht nur nicht bis zum letzten Drittel der Show ohne Maximalrausch schaffen, sondern schon vor Beginn der Onkelz so voll sind, dass sie nichts mehr von sich und ihrer Umwelt wahrnehmen, will mir nicht einleuchten. Nicht nachvollziehbar, zumal dann – wenig überraschend – auch das Aggressionspotenzial hoch ist. Zumindest so lange, bis sie selbst zu betrunken sind, um zu pöbeln … Freunde, Onkelz-Konzerte sind Energieaustausch und kollektive Aggressionsbewältigung, aber kein Fight Club, klar?

Wie sehr liebe ich „Das Geheimnis meiner Kraft“. Hier muss Kevin stimmlich noch einmal alles geben – und wie er das tut! Hinter der Band diese gigantische Russell-Animation, die unseren Sänger grimassierend im Jahr 2000 zeigt. Diabolisch böse. So gut. So passend. Dass ihr bei „Nichts ist für die Ewigkeit“ und vor allem bei „Mexico“ nochmal eine Schippe draufgelegt habt und ich wirklich kurz den Felsen wackeln spüren konnte, muss ich nicht extra erwähnen, tue es aber trotzdem. 

Und dann – „Erinnerung“. Und da möchte ich nochmal kurz die genialen Visuals erwähnen, die von „Blitzen“ gemacht wurden. Und da sind wieder die Onkelz drauf. Die, die „Erinnerung“ 1987 das erste Mal vor schwer tätowierten Skins und Hools vorgetragen haben. Und die, die „Erinnerung“ vor 100.000 Fans auf dem Hockenheim spielen. Kevin mit Glatze, wie er synchron zum Kevin von 2024 singt „Hast du wirklich geglaubt, dass die Zeit nicht weitergeht…“. Und mich überkommt ein Gefühl, das Benedict Wells in seinem genialen Roman „Hard Land“ als Euphancolie beschrieben hat. Ein Neologismus, dessen Definition Wells einer Protagonistin in den Mund legt: Es ist eine Kreuzung aus „Euphorie“ und „Melancholie“ und bezeichnet das Gefühl höchster Glückseligkeit bei gleichzeitigem Bewusstsein, dass der Moment des Glücks endlich ist. 

Vor, während und nach den Shows laufen Dominik und Dave mit ihren iPhones und anderen Gadgets (Drohne!) über das Gelände und filmen euch, die Band und alles, was sonst interessant ist. Die Jungs machen das für B.O. in diesem Ausmaß zum ersten Mal und ich finde, das darf hier auch gewürdigt werden. Danke, Hombres! Große Teile der Crew lassen sich das dreitägige Spektakel ebenfalls nicht entgehen und auch in den Augen „alter Hasen“ die schon alles gesehen und gehört haben, funkelt er: der Onkelz-Wahnsinn. Freunde, so ist das eben, wenn man euch in so eine Location und von der Leine lässt. Mundschutz wirkungslos; das Onkelz-Virus grassiert und springt wie ein Funke auf alle über. 

Und so enden drei wunderbare Tage mit Feuer, Feuerwerk und Dopaminausschüttung ohne Ende. Nach 21 Jahren rief die Loreley wieder nach den Onkelz. Und der Ruf wurde nicht nur von der Band gehört, sondern auch von 36.000 Fans, die die Bühne und ihr weites Rund in einen Hexenkessel verwandelten, der seinesgleichen sucht. Und während sich die Crew und alle anderen langsam auf den Weg nach Oberhausen machen, wird auf der Loreley alles für Westernhagen und PUR vorbereitet. Ob sich deren Fans auch in die Geschichtsbücher der Location singen werden? Nicht unsere Baustelle. 

Wir danken euch für drei unvergessliche Tage.

// Dennis Diel

Fotos: Christian Thiele Fotografie & Tobias Stark Photography

Kommentar